Zu Staub Und Asche
von Bens Theorien ging davon aus, dass Clare Bethany zum Schlangenweiher bestellt hatte, um mit irgendeiner Art von Sexspielchen sein erlöschendes Interesse wiederzubeleben. An einem lausig kalten Februartag konnte er so gut wie sicher sein, dass niemand sie dort oben stören würde. War das Experiment vielleicht auf schreckliche Weise gescheitert?
»Dann gehen Sie also davon aus, dass sie den Freitod wählte, weil sie das Ende Ihrer Beziehung nicht verwinden konnte?«
»Das habe ich nie behauptet.«
»Was denn sonst?«
»Sie nahm alles viel zu ernst, um glücklich sein zu können. Und es war nicht das erste Mal, dass eine ihrer Beziehungen gegen ihren Willen scheiterte.«
»Erzählen Sie mir von Bethanys früheren Beziehungen.«
»Wir haben nie darüber gesprochen. Warum sollte ich mich für so etwas interessieren?«
Das Gleiche hatte er während der ersten Ermittlungen geäußert. Zumindest stimmten seine Aussagen überein. Oder er war einfach nur vorsichtig.
»Wirklich?«
»Wirklich und wahrhaftig. Ich glaube an das Leben im Augenblick. Für mich findet Leben nur hier und jetzt statt, und das habe ich Bethany auch gesagt. Es ist meine feste Überzeugung.«
In Hannahs Gedächtnis blitzte ein Satz auf, den er ein wenig früher geäußert hatte, und plötzlich kroch ihr kalte Angst ins Genick.
»Sie erwähnten, dass Bethany in einer Buchhandlung gearbeitet hat.«
»Richtig.«
»Bei Waterstones?«
»Nein, es war ein Laden, der Secondhandbücher verkaufte.«
Bethany Friends Tod hatte Ben Kind umgetrieben. Trotzdem war es ihm nie gelungen zu beweisen, dass sie einem Mord zum Opfer gefallen war, geschweige denn jemanden zu verhaften. Nathan Clare galt als Hauptverdächtiger. Ben hatte ihn nicht gemocht, und jetzt verstand Hannah auch, warum. Es gab keinerlei Anzeichen für einen festen Freund, der Bethany den Laufpass gegeben hätte, ehe sie sich in Nathan verliebte. Keine von Bethanys Freundinnen oder Arbeitskolleginnen wusste etwas von einer Beziehung. Ben hatte immer wieder darüber nachgegrübelt, ob es tatsächlich einen Freund gegeben hatte oder ob er nur eine Erfindung Nathan Clares war.
Als Nächstes besuchte Hannah ein Pflegeheim in der Nähe von Watersedge. Sie wollte mit Bethanys Mutter sprechen. Die alte Dame sollte erfahren, dass Hannah grünes Licht für die Wiederaufnahme des Falles bekommen hatte. Außerdem wollte sie sich erkundigen, ob Bethany früher einmal für Marc gearbeitet hatte.
Hannah stapfte durch den Regen zu ihrem Auto und dachte an die Gespräche mit Ben. Wie viele Beamte seiner Generation misstraute er den jungen Leuten, die mit Abschlüssen in Archäologie oder Geschichte frisch von der Polizeihochschule kamen und im Schnellverfahren befördert wurden. Allerdings war er kein Fanatiker und hatte alles in seiner Macht Stehende getan, ihr beruflich unter die Arme zu greifen. Trotz des Altersunterschiedes fühlten sie sich zueinander hingezogen. Weder Ben noch Hannah äußerten je ein Wort zu ihrer gegenseitigen, spürbaren Sympathie, noch ließen sie Handlungen folgen. Ben blieb bei Cheryl, für die er Frau und Kinder verlassen hatte, und Hannah zog irgendwann mit Marc zusammen.
An einem verregneten Abend, bei einem Drink nach Feierabend, erzählte Ben ihr, warum ihm Bethany Friends Tod so intensiv zu schaffen machte. Er hatte Bethanys Mutter vernommen und war von der Tiefe ihrer Verzweiflung überrascht gewesen. Die alte Dame war zwar erst Mitte sechzig, aber ihr schwaches Herz und eine Reihe persönlicher Schicksalsschläge hatten sie vorzeitig altern lassen. Ben sagte, er hätte ihr durchaus fünfzehn Jahre mehr zugetraut, was ihn jedoch nicht wunderte. Ihr Ehemann war schon vor vielen Jahren gestorben, gefolgt von ihrem Sohn und schließlich auch noch vom einzigen ihr verbliebenen Kind.
»Vielleicht klingt es ja ein bisschen verrückt«, hatte er ihr in einer Ecke des schäbigen Pubs anvertraut, »aber sie erinnert mich an meine Mutter. Als ich zu Hause ausgezogen bin, wollte meine Frau nie wieder etwas mit mir oder meiner Familie zu tun haben. Meine Mutter hat ihre Enkel nach dem Bruch nie mehr zu Gesicht bekommen, obwohl Daniel ihr heimlich Briefe schrieb. Mir wurde plötzlich klar ...«
Seine Stimme versagte. Am liebsten hätte Hannah seine Hand genommen und ihm Trost gespendet, doch sie fürchtete die Folgen.
»Ja?«
»Mir wurde plötzlich klar, was für ein selbstsüchtiger Mistkerl ich war. Meine Mutter starb zwei Jahre später, aber was auch immer auf ihrem
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