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Zu Staub Und Asche

Zu Staub Und Asche

Titel: Zu Staub Und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Edwards
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Schultern, als wolle er sagen: Na und? Selbst in T-Shirt, Chinos und Mokassins sah er beeindruckend aus. Seine Gesichtszüge wirkten dank der hohen Wangenknochen und einer flachen Nase irgendwie affenartig. So, wie er vor Hannah hin und her wanderte, erinnerte er sie an ein Tier im Käfig, das trotz lebenslanger Gefangenschaft ungezähmt war und niemals seinen Jagdinstinkt verloren hatte. Stark, wild und gefährlich.
    »Ich erinnere mich nur noch verschwommen.«
    »Sechs Jahre sind keine lange Zeit. Sie waren einander sehr nah, und ihr Tod kam ganz plötzlich.«
    »Ich musste schließlich weiterleben.« Seine Pranke beschrieb einen weiten Bogen. »Ich habe mich intensiv bemüht, Bethany aus meiner Erinnerung zu löschen.«
    Hannah kannte den Trick, den er gerade benutzte. Falls er einen Fehler machte und seiner ursprünglichen Aussage widersprach, konnte er sich so den Rücken freihalten. Sie hatte den Termin telefonisch abgesprochen. Nathan Clare war so überrascht gewesen, dass er keine Chance hatte, sie abzuwimmeln - und einem Treffen zustimmte. Als sie vor fünf Minuten bei ihm geklingelt hatte, wäre sie kaum erstaunt gewesen, wenn er nicht geöffnet hätte. Er schien jedoch entschlossen zu sein, es auf einen psychologischen Kleinkrieg mit ihr ankommen zu lassen. An der Wand ihr gegenüber hing ein Bild im Stil Modiglianis, das ein ziemlich eckiges nacktes Mädchen mit gespreizten Beinen zeigte. Er wollte, dass sie sich unbehaglich fühlte. Zumindest das wabblige Sofa zeigte Erfolg.
    Hannah rappelte sich auf und stellte sich neben ihn. Er roch nach schalem Bier.
    »Wann haben Sie Bethany kennengelernt?«
    »Wie Sie sehr wohl wissen, hielt ich zu dieser Zeit eine Reihe von Abendvorlesungen an der Uni. Bethany besuchte die Veranstaltungen. Damals arbeitete sie als Sekretärin in unserem Büro. Zeitarbeit. Irgendwie musste sie ja die Miete bezahlen. Aber ihre wahre Leidenschaft gehörte der Literatur.«
    »Wie lautete das Thema Ihrer Vorlesungsreihe?«
    »Es ging um die Dichter des Lake District - und zwar einmal ohne Wordsworth. Zum Beispiel Coleridge und Southey, wissen Sie?« Es klang, als wolle er deutlich machen, dass eine Kriminalbeamtin mit Sicherheit nie von einem anderen Dichter als Wordsworth gehört hatte. »Ich finde es interessant, die Diskussion auf eine breite Basis zu stellen. Aus mir wäre nie ein Vollzeitakademiker geworden, aber Examina und Titel spielen ohnehin nur für Kleingeister eine Rolle. Eines Abends kamen Bethany und ich ins Gespräch, setzten unsere Diskussion in einem Pub bei einem Bier fort, und dann ist es eben passiert.«
    »Sie begannen also eine Beziehung?«
    »Wir haben nicht gegen irgendwelche Regeln verstoßen, wenn Sie das meinen.«
    »Sie war Angestellte der Universität.«
    »Aber sie war keine Studentin. Die Abendvorlesungen boten ihr Abwechslung, wenn ihr die Ideen für eigene Geschichten ausgingen. Sie hatte eine Menge solcher Sackgassenjobs. Kellnerin, Sekretärin oder schlecht bezahlte Aushilfe in einer Buchhandlung. In einem Sommer arbeitete sie sogar als Putzfrau in einem Hotel in Bowness. Sie wollte unbedingt einen ganz großen Roman schreiben - das war ihr einziger Ehrgeiz. Ich bezweifle allerdings, dass es ihr gelungen wäre.«
    »Haben Sie je darüber nachgedacht, mit Bethany zusammenzuziehen?«
    »Sie wusste, wie wichtig mir meine Unabhängigkeit ist.«
    »Für Sie war es also keine feste Beziehung?«
    Nathan lachte. »Die Leute geben ein Vermögen für Hochzeiten aus, um fünf Minuten später zu einem Scheidungsanwalt zu rennen. Ich bin mir nicht sicher, ob Beziehungen überhaupt je von Dauer sein können, Chief Inspector. Ein paar halten, weil die Parteien für einen endgültigen Bruch entweder zu faul oder zu ängstlich sind.«
    »Empfand Bethany das Gleiche?«
    »Ihre Erfahrungen waren nicht die besten.«
    »Wie meinen Sie das?«
    Er runzelte die Stirn, als hätte sie ihn dazu gebracht, zu viel preiszugeben. »Sie war ein Unschuldsengel - verliebte sich immer wieder Hals über Kopf, um dann zutiefst enttäuscht zu werden.«
    »Ach wirklich?« Hannah wurde hellhörig. »Soviel ich weiß, war sie recht zurückhaltend.«
    »Dürfen sich zurückhaltende Menschen etwa nicht verlieben?«
    »War sie auch in Sie vernarrt?«
    Er grinste und zeigte dabei die breitesten Zähne, die sie je gesehen hatte.
    »Könnten Sie das nicht nachvollziehen, Hannah?«
    »Sie haben Bethany zwei Tage vor ihrem Tod das letzte Mal gesehen. Angeblich kam es zum Streit zwischen

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