Zu Staub Und Asche
rücksichtslos. Bestimmt hat er sich jede Woche mindestens einen neuen Feind gemacht.«
»Das ist noch lange kein Motiv für einen Mord. In juristischen Berufen gibt es eine Menge solcher Leute, aber die liegen noch lange nicht alle in Schubladen im Leichenschauhaus. Glaub mir, ich kenne einige von ihnen, und die meisten besitzen nicht einmal einen Bruchteil von Stuarts Charme.«
»Manchmal ließ er seine Maske aber auch fallen. Erinnerst du dich?«
Sie zuckte zusammen, als hätte er sie mit dem Schüreisen berührt. »Glaubst du, dass es sich um eine persönliche Angelegenheit gehandelt hat?«
»Was sonst?«
»Er war der egoistischste Mensch, der mir je begegnet ist, und das will schon etwas heißen. Aber sein Ego gehörte zu ihm.«
»Er hat dir wehgetan«, sagte Daniel, »und das kann ich ihm nicht verzeihen.«
»Aber andere haben ihm verziehen. Genau das machte Stuart doch aus, verstehst du nicht? Er konnte sich so schlecht benehmen, wie er wollte - er schaffte es immer, sich aus der Affäre zu ziehen. Zwar habe ich die Kontrolle verloren, als er mit mir Schluss gemacht hat, aber darüber bin ich längst hinweg. Bestimmt. Es ist schließlich nicht so, als hätte ich ihn wirklich geliebt.«
Daniel starrte seine Schwester an. »Im Ernst?«
»Absolut.« Sie blickte weiter unverwandt ins Feuer. »Ich war verknallt, aber das ist nicht das Gleiche wie Liebe. Eher eine Art von vorübergehendem Ausnahmezustand. Schon um Weihnachten herum hatte der Zauber deutlich nachgelassen.«
»Du hast den Job gewechselt, bist umgezogen und wolltest seinetwegen dein ganzes Leben verändern.« Daniel hatte plötzlich den Eindruck, seine Schwester nie wirklich gekannt zu haben. »Willst du mir wirklich erzählen, dass du das alles aus einer Laune heraus gemacht hast?«
»Die Wahrheit ist, wie üblich, um einiges komplizierter.« Louise klang, als wäre sie nach einer durchzechten Nacht plötzlich nüchtern geworden. »Als ich Stuart kennenlernte, bot sich mir plötzlich die Chance, mit meiner Vergangenheit zu brechen. Meine Arbeit, meine Studenten, mein ganzes scheißnormales Leben - das alles hat mich angeödet. Er bot mir einen Ausweg. Es war nicht sein Geld, das mich anmachte - es war der Reiz. Natürlich hat es auch mein Ego gestreichelt, dass ein Mann, der so ungefähr jede Frau haben konnte, sich ausgerechnet für mich interessierte. Und ich habe es gewagt, etwas ganz anderes zu tun. Etwas Wildes, Unerwartetes, etwas, das mein Leben von Grund auf veränderte. Eigentlich genau wie du, als du Oxford verlassen hast und mit Miranda in den Lake District gezogen bist.«
»Du hast mich damals für verrückt erklärt.«
»Mein Fehler - wie immer.« Sie wandte ihm ihr Gesicht zu. »Hier im Lake District konnte ich tatsächlich noch einmal durchstarten. Du darfst übrigens nicht vergessen, dass ich mein Haus in Manchester noch nicht verkauft habe. Außerdem wusste ich, dass du hier in der Nähe warst und dass ich eine Schulter zum Ausheulen hätte, wenn es mit Stuart nicht klappen würde.«
»Jederzeit«, antwortete Daniel. »Trotzdem ist mir unter diesen Umständen schleierhaft, warum du in ein so tiefes Loch gefallen bist, als Stuart Schluss gemacht hat.«
»Gekränkter Stolz und natürlich mein übliches Temperament - was auch sonst?« Louise schien erstaunt, dass er sie nicht verstand. »Ich hatte mir von Anfang an vorgenommen, dass ich mich sofort trennen würde, sobald ich mich bei Stuart nicht mehr wohlfühlte. Allerdings hätte ich mir nicht träumen lassen, dass es so schnell gehen würde. Außerdem wollte ich unbedingt vermeiden, dass Stuart derjenige wäre, der die Beziehung beendete. Ich habe keinem Mann mehr vertraut, seit Dad uns verlassen hat; trotzdem treffe ich nie die richtige Wahl. Es war einfach nur erniedrigend, gleich nach der Silvesterparty hinausgeworfen zu werden. Als hätte Stuart sich vorgenommen, sein Leben zu säubern und mich zusammen mit dem Geschenkpapier und den leeren Champagnerflaschen zu entsorgen.«
»Tut mir leid.«
»Es kam so plötzlich und unerwartet. Selbst jetzt kann ich noch nicht fassen, wie schnell er sich verändert hat.«
»Was war deiner Ansicht nach der Grund dafür?«
»Das weiß nur Gott allein. Ich hasse es, dass ich nicht in der Lage bin, die Vorgänge in meinem eigenen Leben zu begreifen. Deshalb bin ich auch ausgerastet. Ergibt das einen Sinn?«
»Irgendwie schon.« Daniel schüttelte den Kopf. »Ich bin sicher, du hast ihn mit dieser Schere nicht einmal
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