Zu Staub Und Asche
egoistisch angehört.«
»Nur keine falsche Scham. Sie haben ein Geschäft, und die Zeiten sind nicht gerade einfach. Leute wie Stuart und George zahlen die Rechnungen. Und - nicht zu vergessen - mein Gehalt. Ich hoffe, das macht Sie nicht noch trauriger.«
»Keine Sorge, ich komme schon über die Runden.«
»Na Gott sei Dank! Ich habe schon mehr Jobs gehabt als andere Leute in einem ganzen Arbeitsleben. Es wäre wirklich schade, wenn Sie mich auf die Straße setzen müssten.«
»Die Gefahr besteht sicher nicht, Cassie.«
»Machen Sie es sich doch gemütlich. Ich braue schnell den Irish Coffee zusammen.«
Sie verschwand in einer Miniküche, er lümmelte sich auf das Sofa. Neil Young sang: Tonight's the Night. Marc fand es aufregend, in Cassies Wohnung eingeladen worden zu sein, doch er war entschlossen, nicht wieder schwach zu werden und sich zu irgendetwas hinreißen zu lassen. Cassie durfte ihn keinesfalls falsch verstehen. Allerdings wusste er nicht wirklich, ob er sich selbst richtig verstand.
Er schloss die Augen. Wie leicht es doch war, sich einfach treiben zu lassen! Was wäre, wenn sie ihn einlud, gemeinsam einen Joint zu rauchen oder Kokain zu schnupfen? Es war schwer, sie einzuschätzen; er hatte keine Ahnung, wie weit sie tatsächlich gehen würde. Er brauchte sich nur vorzustellen, dass die Einladung zum Kaffee eine List war. Er hatte sich selbst verwundbar gemacht und hatte den Lauf der Dinge nicht mehr unter Kontrolle. Was mochte sie in sein Getränk mischen? Welche Pillen oder Tropfen mochten sich unter Whisky und Sahne verbergen?
Marc öffnete die Augen. Cassie betrat das Zimmer mit einem Tablett in der Hand. Sie räumte einen kleinen Bambustisch neben dem Sofa frei und stellte die Getränke ab.
»Hier, bitte.« Sie reichte ihm einen Becher und setzte sich in einen Sessel ihm gegenüber. »Probieren Sie mal, ob sie ihn so mögen.«
Er probierte den Kaffee. Er war ganz schön stark.
Mit leicht geöffneten Lippen wartete Cassie auf seine Reaktion.
Sie lächelten einander zu. Richtig, er nahm ein Risiko auf sich. Komisch war nur, dass er sich nicht darum scherte.
Er probierte einen zweiten Schluck.
***
»Was hat Hannah gesagt?«
Louise hatte sich auf das Sofa im Wohnzimmer von Tarn Cottage gekuschelt und ihren Morgenmantel eng um sich gezogen. Die Lampen im Raum verströmten ein sanftes Licht, im Kamin loderte ein Feuer, und in der Luft hing das Aroma von heißer Schokolade. Es hätte nicht gemütlicher sein können, doch der Schein trog.
Louise hatte eine geschlagene Stunde damit verbracht, Fragen der Polizei zu beantworten, während Spezialisten den Leichnam ihres Liebhabers aus dem Brunnenschacht nach oben beförderten, und sie zitterte noch immer. Daniel hatte einen Anwalt aus Preston damit beauftragt, seine Schwester zu vertreten - einen ausgezehrten Pessimisten in einem zwar waschbaren, aber ungewaschenen braunen Anzug. Alle ihm bekannten Anwälte im Lake District waren entweder Kollegen von Stuart Wagg gewesen, oder sie waren Konkurrenten, die noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen hatten. Das Verhalten des Anwalts ließ darauf schließen, dass seine Mandanten sich über kurz oder lang sämtlich als schuldig bekannt hatten. Sein bisher einziger Rat bestand darin, Louise aufzufordern, so wenig wie möglich über ihre Beziehung zu dem Toten preiszugeben, was die Anhörung zumindest erheblich abkürzte. Vielleicht war er in Wirklichkeit besser, als seine Kleidung es vermuten ließ. Der Polizist, der das Verhör durchführte, machte allerdings deutlich, dass Louise lediglich das Unvermeidliche vor sich herschob und dass er wieder auf sie zukäme, sobald sie nicht mehr unter Schock stand.
Daniel stocherte mit dem Schürhaken in den brennenden Scheiten, bevor er sich die Hände am Feuer wärmte. Louise musste sich wie benommen fühlen. Wenn er es nur fertigbrächte, das geradezu surreale Bild von Waggs Leiche in diesem Loch loszuwerden! Vielleicht hatte er sich alles nur eingebildet, und er war kurz davor, aus diesem Albtraum aufzuwachen.
Doch da gab es einen Haken: Niemand war in der Lage, sich diesen entsetzlichen Geruch einzubilden, der aus dem Loch nach oben gedrungen war - diesen verdorbenen Gestank nach schmutzigem Tod.
»Wir treffen uns nachher im The Tickled Trout.«
Die Flammen loderten im Kamin. Louise schien wie hypnotisiert, wie ein in Trance geratener Zuschauer bei einem Tanzritual.
»Wer kann das getan haben?«, flüsterte sie.
»Stuart war selbstsüchtig und
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