Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)
wusste, dass drinnen nicht alles so wunderbar war.
Was sie sah, wenn sie in die eigene ungepflasterte, pfützenreiche Auffahrt einbog, war diese von Jon eingebaute Doppeltür, die das entkernte, lichte Innere ihres Hauses umrahmte. Die Trittleiter, die unfertigen Küchenschränke, die freigelegte Treppe, das warme Holz im Licht der Arbeitslampe, die Jon sich immer dorthin legte, wo er sie gerade brauchte, wo er gerade arbeitete. Er arbeitete den ganzen Tag lang in seinem Schuppen, und sobald es dunkelte, schickte er seinen Lehrling heim und arbeitete im Haus weiter. Wenn er ihr Auto hörte, wandte er ihr zur Begrüßung nur für einen Augenblick den Kopf zu. Seine Hände waren meistens zu beschäftigt, um zu winken. Joyce saß im Auto, hatte die Schweinwerfer schon ausgestellt, sammelte die Einkäufe oder die Post ein, die sie ins Haus mitnehmen musste, und genoss es, noch die Schritte zur Tür vor sich zu haben, durch die Dunkelheit und den Wind und den kalten Regen. Sie hatte dann das Gefühl, die Arbeit des Tages abzuschütteln, die mühsam und ungewiss war, das Vermitteln von Musik an die Gleichgültigen und die Empfänglichen. Wie viel besser war es doch, mit Holz zu arbeiten und allein – den Lehrling ließ sie außer Acht – als mit unberechenbarem jugendlichem Menschenmaterial.
Jon sagte sie nichts davon. Er hörte es gar nicht gern, wenn davon geredet wurde, wie elementar und gut und ehrlich es war, mit Holz zu arbeiten. Welche Rechtschaffenheit das hatte, welche Würde.
Quatsch, sagte er dann.
Jon und Joyce hatten sich in der Highschool kennengelernt, in einer Industriestadt in Ontario. Joyce hatte den zweithöchsten Intelligenzquotienten in der Klasse, und Jon hatte den höchsten in der Schule und wahrscheinlich in der ganzen Stadt. Von ihr erwartete man, dass sie eine exzellente Geigerin werden würde – das war, bevor sie die Geige gegen das Cello tauschte –, und in ihm sah man den künftigen Wissenschaftler, dessen phänomenale Forschung sich in der normalen Welt gar nicht beschreiben ließ.
In ihrem ersten Jahr am College schmissen beide das Studium hin und brannten zusammen durch. Sie nahmen hier und da irgendwelche Jobs an, durchquerten per Bus den Kontinent, lebten ein Jahr lang an der Küste von Oregon und söhnten sich von ferne mit ihren Eltern aus, für die ein Licht in der Welt erloschen war. Sie waren eigentlich ein bisschen spät dran, um noch als Hippies durchzugehen, aber ihre Eltern nannten sie so. Sie selbst sahen sich nie so. Sie nahmen keine Drogen, kleideten sich konservativ, wenn auch ziemlich schäbig, und Jon legte Wert darauf, sich zu rasieren und sich von Joyce die Haare schneiden zu lassen. Nach einiger Zeit hatten sie die schlechtbezahlten Aushilfsjobs satt und borgten sich von ihren enttäuschten Familien Geld, um sich für bessere Arbeit zu qualifizieren. Jon lernte tischlern und schreinern, und Joyce erwarb ein Diplom, das ihr erlaubte, in Schulen Musik zu unterrichten.
Sie fand eine Stellung in Rough River. Zusammen kauften sie dieses baufällige Haus für so gut wie nichts und richteten sich auf eine neue Phase in ihrem Leben ein. Sie legten einen Garten an und lernten ihre Nachbarn kennen, von denen einige immer noch richtige Hippies waren, die tief im Wald kleine Anbauprojekte betrieben und mit Halsketten aus Holzperlen und mit Duftkissen handelten.
Die Nachbarn mochten Jon. Er war immer noch drahtig, mit strahlenden Augen, zwar ichbezogen, aber bereit, zuzuhören. Zu jener Zeit versuchten gerade viele Leute, mit Computern zurechtzukommen, die er verstand und geduldig erklären konnte. Joyce war weniger beliebt. Ihre Unterrichtsmethoden galten als zu förmlich.
Joyce und Jon bereiteten zusammen das Abendessen zu und tranken von ihrem selbstgemachten Wein. (Jons Methode der Weinherstellung hielt sich erfolgreich an ein genaues Rezept.) Joyce redete über die entnervenden und komischen Situationen ihres Tages. Jon redete nicht viel – auch, weil er mehr mit dem Kochen beschäftigt war. Wenn sie dann aßen, konnte es sein, dass er ihr von einem Kunden erzählte, der an dem Tag gekommen war, oder von seinem Lehrling, von Edie. Und sie lachten über etwas, das Edie gesagt hatte. Aber nicht verächtlich – Edie war wie ein Haustier, dachte Joyce manchmal. Oder wie ein Kind. Doch wenn sie ein Kind gewesen wäre, ihre Tochter, und so geartet, wie sie war, dann wären sie womöglich zu ratlos und vielleicht zu besorgt gewesen, um zu lachen.
Warum? Wie
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