Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)
nicht.«
Da sagte ich doch etwas, um ihr eins vor den Bug zu geben. »Ich mag sie gern.«
»Du magst sie gehrne?«, spottete Roxanne.
Wie zum Spaß zog sie heftig an einer Strähne von dem Pony, den ich mir vor kurzem selbst geschnitten hatte.
»Du solltest was Vernünftiges mit deinen Haaren anfangen.«
Dorothy sagt.
Wenn Roxanne Bewunderung wollte, wie es in ihrer Natur lag, was wollte dann Dorothy? Ich hatte das Gefühl, dass sich Böses regte, aber ich konnte es nicht dingfest machen. Vielleicht war es nur ein Verlangen, Roxanne im Haus zu haben, ihre Lebhaftigkeit, ihr Tempo.
Der Hochsommer neigte sich. In den Brunnen sank der Wasserstand. Der Sprengwagen kam nicht mehr, und manche Läden hatten Planen aus etwas, das wie gelbes Zellophan aussah, in ihre Schaufenster gehängt, damit ihre Ware nicht ausblich. Das Laub war fleckig, das Gras dürr.
Die alte Mrs Crozier ließ ihren Gärtner weiter hacken, Tag um Tag. So macht man das bei trockenem Wetter, man hackt und hackt, um jedes bisschen Feuchtigkeit hochzuholen, das man im Boden darunter finden kann.
Die Sommerkurse am College endeten nach der zweiten Augustwoche, und dann würde Sylvia Crozier jeden Tag zu Hause sein.
Mr Crozier freute sich immer noch, Roxanne zu sehen, aber er schlief oft ein. Er konnte einschlafen, ohne den Kopf nach hinten sinken zu lassen, mitten in einem ihrer Witze oder einer ihrer Anekdoten. Dann, einen Augenblick später, wurde er wach und fragte, wo er sei.
»Na, hier, Sie Döskopp. Eigentlich sollen Sie mir zuhören. Ich sollte Ihnen was hinter die Löffel geben. Oder wie wär’s, wenn ich Sie stattdessen kitzle?«
Jeder konnte sehen, wie er verfiel. Seine Wangen waren eingefallen wie die eines alten Mannes, und das Licht schien durch seine Ohrmuscheln, als seien sie nicht aus Fleisch, sondern aus Plastik. (Obwohl wir damals nicht »Plastik« sagten; wir sagten »Zelluloid«.)
Mein letzter Arbeitstag dort, Sylvias letzter Unterrichtstag, war ein Massagetag. Sylvia musste wegen einer Feierstunde früh zum College fahren, also ging ich zu Fuß durch die Stadt und kam an, als Roxanne schon da war. Die alte Mrs Crozier war auch in der Küche, und beide sahen mich an, als hätten sie vergessen, dass ich kam, als hätte ich sie unterbrochen.
»Ich hab sie extra bestellt«, sagte die alte Mrs Crozier.
Sie musste die Makronen meinen, die in einer Konditorschachtel auf dem Tisch standen.
»Aber ich hab’s Ihnen doch erklärt«, sagte Roxanne. »Ich kann das Zeug nicht essen. Auf gar keinen Fall.«
»Ich hab Hervey zum Bäcker geschickt, um sie zu holen.«
Hervey, so hieß unser Nachbar, ihr Gärtner.
»Dann soll Hervey sie auch essen. Das ist mein Ernst. Ich kriege davon fürchterlichen Ausschlag.«
»Ich dachte, wir gönnen uns was Besonderes«, sagte die alte Mrs Crozier. »Schließlich ist es unser letzter Tag, bevor …«
»Der letzte Tag, bevor ihr Hintern hier dauerhaft festklebt, ja, ich weiß. Trotzdem krieg ich davon so viel Flecken wie eine Hyäne.«
Wessen Hintern klebte dann dauerhaft hier fest?
Sylvias natürlich.
Die alte Mrs Crozier trug einen schönen schwarzen Seidenmorgenrock mit Seerosen und Gänsen darauf. Sie sagte: »Keine Aussicht mehr auf irgendwas Besonderes, wenn die da ist. Sie werden sehen.«
»Dann wolln wir mal loslegen und uns heute eine schöne Zeit machen. Vergessen Sie das Zeug, ist ja nicht Ihre Schuld. Ich weiß, Sie haben’s gut gemeint.«
»Ich weiß, Sie haben’s gut gemeint«, ahmte die alte Mrs Crozier sie mit gehässiger, affektierter Stimme nach, dann sahen beide mich an, und Roxanne sagte: »Krug ist da, wo er immer ist.«
Ich nahm Mr Croziers Wasserkrug aus dem Kühlschrank. Mir kam der Gedanke, dass sie mir eine von den goldbraunen Makronen aus der Schachtel anbieten könnten, aber den beiden kam der Gedanke offenbar nicht.
Ich erwartete, dass Mr Crozier mit geschlossenen Augen in den Kissen ruhte, aber er war hellwach.
»Ich habe gewartet«, sagte er und musste Luft holen. »Dass du kommst«, sagte er. »Ich möchte dich bitten … etwas für mich zu tun. Willst du?«
Klar, sagte ich.
»Du hältst es geheim?«
Ich hatte befürchtet, er könnte mich bitten, ihm auf den Nachtstuhl zu helfen, der seit kurzem in seinem Zimmer stand, aber das musste doch nicht geheim bleiben.
Ja.
Er bat mich, zu dem Schreibtisch gegenüber seinem Bett zu gehen, die linke kleine Schublade zu öffnen und nachzuschauen, ob ich darin einen Schlüssel finden
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