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Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)

Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)

Titel: Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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hochkrabbeln wie Raupen.«
    »Wir wissen nicht, was er da drin womöglich anstellt.«
    »Ist doch seine Sache, oder nicht?«
    Wieder Schweigen.
    Dann Schritte – Roxannes – zur Hintertreppe.
    »Ja, machen Sie nur«, sagte Mrs Crozier. »Besser, Sie machen, dass Sie wegkommen, bevor Sie vergessen, wessen Haus das ist.«
    Roxanne ging die Treppe hinunter. Ein paar Stampfer des Stocks folgten ihr, kamen aber nicht herunter.
    »Und kommen Sie ja nicht auf die Idee, hinter meinem Rücken zum Wachtmeister zu gehen. Der lässt sich von Ihnen nichts befehlen. Wer hat hier überhaupt zu befehlen? Ganz bestimmt nicht Sie. Haben Sie gehört?«
    Sehr bald hörte ich die Küchentür zuknallen. Und dann Roxannes Auto wegfahren.
    Ich machte mir ebenso wenig Gedanken wegen der Polizei wie die alte Mrs Crozier. Die Polizei in unserem Städtchen, das war Wachtmeister McClarty, der in die Schule kam und uns im Winter ermahnte, nicht auf den Straßen zu rodeln, und im Sommer, nicht im Mühlbach zu baden, was wir beides weiterhin taten. Es war lächerlich, sich vorzustellen, dass er auf eine Leiter kletterte oder Mr Crozier durch eine abgeschlossene Tür ins Gewissen redete.
    Er würde Roxanne sagen, sie solle sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern und ihre Nase nicht in die der Croziers stecken.
    Es war jedoch nicht lächerlich, sich vorzustellen, dass die alte Mrs Crozier Befehle gab, und ich dachte, jetzt, wo Roxanne – die sie offenbar nicht mehr leiden konnte – fort war, könnte sie das tun. Sie könnte auf mich losgehen und wissen wollen, ob ich etwas damit zu tun hatte.
    Aber sie rüttelte nicht einmal am Türknauf. Sie stand nur vor der abgeschlossenen Tür und sagte etwas.
    »Kräftiger, als ich dachte«, murmelte sie.
    Dann begab sie sich hinunter. Die üblichen Geräusche ihres Stocks, das harte, regelmäßige Stapfen.
    Ich wartete eine Weile und ging dann in die Küche. Die alte Mrs Crozier war nicht da. Sie war auch nicht in den beiden Salons oder im Esszimmer oder im Wintergarten. Ich nahm all meinen Mut zusammen und klopfte an die Toilettentür, dann machte ich sie auf, aber da drin war sie auch nicht. Schließlich schaute ich aus dem Küchenfenster über dem Spülbecken und sah über der Lebensbaumhecke ihren Strohhut sich langsam voranbewegen. Sie war in der Hitze draußen im Garten, stapfte umher zwischen ihren Blumenbeeten.
    Der Gedanke, der Roxanne beunruhigt hatte, machte mir nicht zu schaffen. Ich beschäftigte mich nicht weiter damit, denn ich fand es völlig absurd, dass jemand, der nur noch kurze Zeit zu leben hatte, Selbstmord begehen sollte. Das konnte nicht passieren.
    Trotzdem war ich nervös. Ich aß zwei von den Makronen, die immer noch auf dem Küchentisch standen. Ich aß sie, weil ich hoffte, dass der Genuss die Normalität zurückbringen werde, aber ich schmeckte sie kaum. Dann stellte ich die Schachtel in den Kühlschrank, damit ich nicht noch mehr aß, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.
     
    Die alte Mrs Crozier war immer noch draußen, als Sylvia zurückkehrte. Und sie kam auch dann nicht herein.
    Ich holte den Schlüssel aus dem Buch heraus, sobald ich das Auto hörte, und gab ihn Sylvia, sobald sie im Haus war. Ich erzählte ihr rasch, was passiert war, unter Weglassung des Brimboriums, denn sie hätte sich ohnehin nicht die Zeit genommen, um sich das anzuhören. Sie lief die Treppe hinauf.
    Ich stand am Fuß der Treppe, um zu erlauschen, was es zu hören gab.
    Nichts. Gar nichts.
    Dann Sylvias Stimme, überrascht und aufgeregt, aber überhaupt nicht verzweifelt und zu leise, als dass ich sie verstehen konnte. Innerhalb von fünf Minuten war sie wieder unten und sagte, es sei Zeit, mich nach Hause zu bringen. Sie war rot, als hätten sich die Flecken auf ihren Wangen über ihr ganzes Gesicht ausgebreitet, und sie sah verstört aus, konnte aber keinen Hehl aus ihrem Glück machen.
    Dann: »Ach, wo ist denn Mutter Crozier?«
    »Im Blumengarten, glaube ich.«
    »Ich sollte vielleicht kurz mit ihr reden.«
    Nachdem sie das getan hatte, sah sie nicht mehr ganz so glücklich aus.
    »Ich nehme an, du weißt es«, sagte sie, als sie vom Hof fuhr, »ich nehme an, du kannst dir vorstellen, dass die alte Mrs Crozier verstört ist. Nicht, dass ich dir Vorwürfe mache. Es war sehr gut und loyal von dir, dass du getan hast, worum Mr Crozier dich bat. Hattest du keine Angst, dass etwas passiert? Mit Mr Crozier?«
    Ich sagte nein.
    Dann sagte ich: »Ich glaube, Roxanne

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