Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)
verstecken Sie sich. Ich hab gerade zu Ihrer Stiefmama gesagt, ich finde, es wird Zeit, dass ich Ihnen vorgestellt werde.«
Mr Crozier sagte: »Guten Tag, Roxanne.«
»Woher wissen Sie meinen Namen?«
»Hat sich herumgesprochen.«
»Frechen Burschen haben Sie da«, sagte Roxanne zur alten Mrs Crozier, die jetzt ins Zimmer gestapft kam.
»Hör auf, am Rouleau herumzufummeln«, sagte die alte Mrs Crozier zu mir. »Geh und hol mir ein Glas kühles Wasser, wenn du was zu tun haben willst. Nicht kaltes – kühles.«
»Sie sehen ja schrecklich aus«, sagte Roxanne zu Mr Crozier. »Wer hat Ihnen diese Rasur verpasst und wann?«
»Gestern«, sagte er. »Ich mache das selbst, so gut ich kann.«
»Das hab ich mir gedacht«, sagte Roxanne. Und zu mir: »Wenn du ihr das Wasser holst, willst du mir dann welches heiß machen, damit ich ihn anständig rasieren kann?«
So übernahm Roxanne diese weitere Aufgabe, einmal in der Woche, nach der Massage. An jenem ersten Tag beruhigte sie Mr Crozier.
»Ich werde nicht auf Ihnen herumtrommeln, wie Sie’s von unten gehört haben müssen, als Dorothy so schön gejodelt hat. Vor meiner Massageausbildung war ich Krankenschwester. Na ja, Schwesternhelferin. Eine von denen, die die ganze Arbeit tun, und dann kommen die Schwestern vorbei und kommandieren herum. Jedenfalls habe ich gelernt, es den Leuten gemütlich zu machen.«
Dorothy und jodeln? Mr Crozier grinste. Aber das Seltsame war, die alte Mrs Crozier grinste auch.
Roxanne rasierte ihn geschickt. Sie wusch ihm Gesicht, Hals, Oberkörper, Arme und Hände. Sie richtete sein Bettzeug her, ohne ihn groß zu stören, und sie klopfte seine Kissen auf. Redete dabei ständig, Neckereien und Quatsch.
»Dorothy, Sie sind eine Lügnerin. Sie haben gesagt, Sie haben hier oben einen kranken Mann, und ich komme hier rein und frage mich: Wo ist der kranke Mann? Ich sehe hier keinen kranken Mann. Oder?«
Mr Crozier fragte: »Was würden Sie denn dann zu mir sagen?«
»Rekonvaleszent. Das würde ich sagen. Ich sage ja nicht, Sie sollen aufstehen und rumrennen. Ich weiß, Sie brauchen Ihre Bettruhe. Aber ich sage, rekonvaleszent. Keiner so krank, wie Sie’s angeblich sind, hat je so gut ausgesehen wie Sie.«
Ich fand dieses neckische Geplapper beleidigend. Mr Crozier sah entsetzlich aus. Ein großer Mann, dessen Rippen hervorstanden, als habe er gerade eine Hungersnot hinter sich, dessen Kopf kahl war und dessen Haut aussah wie die von einem gerupften Huhn, sein Hals so sehnig wie der eines alten Mannes. Immer, wenn ich ihm etwas bringen musste, vermied ich es, ihn anzuschauen. Und das eigentlich nicht, weil er krank und hässlich war. Sondern weil er starb. Ich hätte annähernd dieselben Hemmungen gehabt, wenn er engelhaft schön ausgesehen hätte. Ich spürte den Hauch des Todes in diesem Haus, der immer stärker wurde, wenn man sich seinem Zimmer näherte, und er bildete den Mittelpunkt davon, wie die Hostie, die von den Katholiken im sogenannten Tabernakel aufbewahrt wird. Er war der vom Schicksal Getroffene, der Gebrandmarkte, und nun brach diese Roxanne in sein Heiligtum ein mit ihren Witzen, ihren Übertreibungen und ihren Vorstellungen von Unterhaltsamkeit.
So erkundigte sie sich zum Beispiel, ob es im Haus ein Halmaspiel gab.
Das war vielleicht bei ihrem zweiten Besuch, als sie ihn fragte, was er den ganzen Tag lang tat.
»Manchmal lesen. Schlafen.«
Und wie schlief er nachts?
»Wenn ich nicht schlafen kann, liege ich wach. Denke nach. Manchmal lese ich.«
»Stört das nicht Ihre Frau?«
»Die schläft im hinteren Schlafzimmer.«
»M-hm. Sie brauchen ein bisschen Unterhaltung.«
»Werden Sie für mich singen und tanzen?«
Ich sah die alte Mrs Crozier mit ihrem seltsamen unfreiwilligen Grinsen zur Seite schauen.
»Werden Sie ja nicht frech«, sagte Roxanne. »Haben Sie Lust auf Kartenspiele?«
»Ich hasse Kartenspiele.«
»Haben Sie ein Halmaspiel im Haus?«
Diese Frage richtete Roxanne an die alte Mrs Crozier, die als Erstes sagte, sie habe keine Ahnung, aber dann überlegte, ob vielleicht in der Schublade vom Esszimmerbüfett ein Brett war.
Also wurde ich hinuntergeschickt, um nachzusehen, und kam mit dem Brett und den Spielsteinen zurück.
Roxanne legte das Brett über die Beine von Mr Crozier, dann spielten er, Roxanne und ich, während die alte Mrs Crozier sagte, sie habe das Spiel nie verstanden und kriege das mit den Steinen einfach nicht auf die Reihe. (Zu meiner Überraschung schien
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