Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)
Bitte umso dringlicher machte.
»Weshalb braucht sie Pater Hofstrader?«
»Vielleicht handelt es sich um etwas Besonderes?«
»Alle Beichten sind etwas Besonderes.«
Er machte Anstalten aufzustehen, aber ich blieb, wo ich war. Er nahm wieder Platz.
»Pater Hofstrader ist beurlaubt, aber in der Stadt. Ich könnte ihn anrufen und dazu befragen. Wenn Sie darauf bestehen.«
»Ja. Bitte.«
»Ich störe ihn nicht gern. Es geht ihm nicht gut.«
Ich sagte, wenn seine Gesundheit es nicht erlaube, selbst zu fahren, könne ich ihn nach Toronto fahren.
»Wir können gegebenenfalls für seinen Transport sorgen.«
Er blickte sich um und fand nicht, was er suchte. Er zog einen Füller aus der Tasche und beschloss dann, dass er die Rückseite des Briefes zum Schreiben benutzen konnte.
»Wenn Sie mir nur noch sagen würden, ob ich den Namen richtig verstanden habe. Charlotte …«
»Charlene.«
Geriet ich nicht in Versuchung, im Laufe dieses ganzen Palavers? Nicht ein einziges Mal? Man sollte meinen, ich hätte mich öffnen können, so klug sein können, mich zu öffnen, angesichts dieser ungeheuren, wenn auch trügerischen Vergebung. Doch nein. Sie ist mir nicht bestimmt. Was geschehen ist, ist geschehen. Trotz der Engelsscharen, der Tränen aus Blut.
Ich saß im Auto, ohne dass ich daran dachte, den Motor anzustellen, obwohl es inzwischen eisig kalt war. Ich wusste nicht, was ich als Nächstes tun sollte. Das heißt, ich wusste, was ich tun konnte. Den Weg zum Highway suchen und mich dem leuchtenden, unaufhörlichen Autostrom nach Toronto anschließen. Oder ein Hotel zum Übernachten suchen, wenn ich der Meinung war, nicht genug Kraft für die Fahrt zu haben. Die meisten Hotels stellen einem eine Zahnbürste zur Verfügung oder weisen einem den Weg zu einem Automaten, wo man eine bekommen kann. Ich wusste, was notwendig und möglich war, aber es überstieg für den Augenblick meine Kräfte, es zu tun.
Die Motorboote auf dem See waren angewiesen, dem Ufer ein ganzes Stück weit fernzubleiben. Und das besonders vor unserem Gelände, damit die Wellen, die sie hervorriefen, uns nicht beim Schwimmen beeinträchtigten. Aber an jenem letzten Morgen, jenem Sonntagmorgen, lieferten sich zwei davon ein Wettrennen und kurvten nah heran – natürlich nicht bis zum Floß, aber nah genug, um Wellen auszulösen. Das Floß wurde herumgeschleudert, und Pauline stieß einen Schrei des Vorwurfs und der Verärgerung aus. Die Boote machten viel zu viel Krach, als dass ihre Fahrer den hören konnten, außerdem hatten sie ohnehin schon eine große Welle ausgelöst, die auf das Ufer zurollte. Ihre Wucht trug die meisten von uns entweder empor oder riss uns von den Beinen.
Charlene und ich verloren den Grund unter den Füßen. Wir hatten dem Floß den Rücken zugewandt, denn wir achteten nur auf Verna, die auf uns zukam. Wir standen in Wasser, das uns bis zu den Achseln reichte, und kaum, dass wir Paulines Schrei hörten, wurden wir auch schon hoch- und dann hinuntergeschleudert. Wir mögen aufgekreischt haben wie viele andere, erst vor Schreck und dann aus Jux, als wir wieder stehen konnten und die Welle an uns vorbei war. Die Wellen, die danach kamen, waren nicht mehr so stark, so dass wir uns gegen sie halten konnten.
In dem Augenblick, in dem wir überrollt wurden, war Verna auf uns zugestürzt. Als wir mit triefenden Gesichtern und fuchtelnden Armen auftauchten, schwebte sie ausgestreckt unter der Wasseroberfläche. Um uns herum schrien und kreischten alle in einem Tumult, der sich verstärkte, als die schwächeren Wellen kamen und einige, die irgendwie den ersten Angriff versäumt hatten, so taten, als würden sie vom zweiten umgeworfen. Vernas Kopf tauchte nicht auf, obwohl sie jetzt nicht mehr reglos war, sondern sich ohne Hast, leicht wie eine Qualle, im Wasser drehte. Charlene und ich hielten die Hände auf ihr, auf ihrer Gummibadekappe.
Das kann ein Unfall gewesen sein. Als hätten wir uns, um unser Gleichgewicht zu finden, an diesem großen Gummiding ganz in unserer Nähe festgehalten, ohne dass uns klarwurde, was es war oder was wir taten. Ich habe alles genau bedacht. Ich glaube, man hätte uns vergeben. Kleine Kinder. In Panik.
Ja, ja. Wussten nicht, was sie taten.
Ist das auch wirklich wahr? Es ist wahr in dem Sinn, dass wir anfangs keinen Entschluss fassten. Uns nicht in die Augen sahen und beschlossen, das zu tun, was wir im Folgenden absichtlich taten. Absichtlich, denn unsere Blicke trafen sich, als
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