Zu viele Flueche
anzufassen.
»Nessy, öffne Die Tür!«, befahl Tiama.
»Aber, meine Herrin, wenn Ihr sie nicht öffnen konntet, wie könnte ich es dann?«
Tiama funkelte sie wütend an. »Zweifelst du an mir?«
Nessy verneigte sich tief und senkte den Blick auf Tiamas Füße. Oder dorthin, wo Tiamas Füße gewesen wären, wenn sie nicht von ihrem ausladenden Gewand bedeckt gewesen wären. »Nein, meine Herrin, aber …«
»Sieh mich an.«
Nessy hob den Kopf, bis sie der Zauberin direkt in die schwelenden Augen blickte. Es sollte sie einschüchtern, aber Nessy hatte keine Angst. Tiama schien irgendwie weniger geworden zu sein.
»Tu, was ich dir befehle, Hund!«
Ein Anflug von Verzweiflung schwang in Tiamas kalter Stimme mit. Nessy warf einen Blick auf Die Tür. Ihre Balken neigten sich in ihre Richtung.
»Tu es!« Dies war das erste Mal, dass Tiama schrie. Falten zerknitterten ihre Porzellanhaut.
Das Nurgax knurrte. Nessy streichelte sein Horn, bis es ruhig war.
»Nein.« Sie war ziemlich überrascht, sich selbst dieses Wort sagen zu hören. Sie war nicht mehr derselbe Kobold wie vor Tagen noch, selbst wenn es ihr erst in diesem Augenblick bewusst wurde.
»Du wagst es, dich mir zu widersetzen?«
»Ja, ich glaube schon.« Nessy lächelte. »Wenn Ihr diese Tür offen haben möchtet, dann werdet Ihr sie selbst öffnen müssen. Falls Ihr könnt.«
»Meine Macht reicht weiter als deine klägliche Vorstellungskraft!«
»Sehr richtig.« Nessy verbeugte sich und deutete auf Die Tür. »Dann sollte es Euch ja nicht schwerfallen, eine einzige sture Tür zu öffnen.«
Finster verzog Tiama das Gesicht. Ihre Haut kochte. Flüssige Flammen tropften aus ihren Augen, bevor ihr Gesicht schlagartig wieder übernatürlich leer wurde.
»Was lässt dich glauben, dass ich dich nicht töten werde?«
»Ich wäre sehr überrascht, wenn Ihr es nicht tätet.
Ich habe noch keinen Zauberer getroffen, der sein Temperament im Griff hatte. Alle gleichen verzogenen Kindern.« Sie grinste. Es fühlte sich gut an, endlich einmal all die Dinge sagen zu können, die sie immer schon gedacht hatte.
»Fürchtest du den Tod nicht, Hund?«
Nessy zuckte die Achseln. »Eigentlich nicht. Ein gewaltsamer Tod ist in meinem Beruf zu erwarten. Ich habe schon vor langer Zeit meinen Frieden damit gemacht.«
Tiama stammelte: »Und was ist mit deinen Freunden? Der Flughund, die Stimme, die Katze und die anderen? Du weißt, dass ich sie ebenfalls töten werde.«
»Ich weiß, aber ich weiß auch: Was immer sich hinter dieser Tür befinden mag, es ist ein weit schlimmeres Übel, als Ihr es seid. Und hinter dieser Tür wird es bleiben.«
Tiama hob die Augenbrauen. »Du würdest jede arme Seele in diesem Schloss opfern?«
»Wenn ich sie retten kann, werde ich es tun.« Nessy seufzte. »Aber wenn es keine andere Möglichkeit gibt, dann ist es wohl so.«
»Du bist viel praktischer veranlagt, als gut für dich ist, Nessy.« Die Zauberin verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Das ist ein bewundernswerter Charakterzug, denke ich. Bis zu einem gewissen Grad jedenfalls.«
»Du kannst Die Tür nicht öffnen, oder?«
Tiama schüttelte den Kopf. »Selbst ich habe meine Grenzen.«
Mit Tiama wie mit einer Gleichgestellten zu sprechen, war gar nicht so schwer. Nessy hatte keinen ihrer Herren je gefürchtet, aber sie hatte immer Schrecken geheuchelt. Jetzt sah sie keinen Grund mehr dafür.
»Was lässt dich dann glauben, dass ich es kann?«, fragte sie.
»Ich weiß, dass du es kannst.«
Nessy musterte Die Tür. Die Runen und Glyphen darauf sagten ihr gar nichts, aber sie hatte dennoch ziemlich denselben Eindruck. Warum Margle ihr diese Bürde auferlegt hatte, verstand sie nicht.
»Ich werde sie niemals öffnen.«
Kalter Nebel leckte unter der Türschwelle hervor, als Die Tür grollte.
»Dann lässt du mir keine Wahl, als dich und alles andere in diesem Schloss zu vernichten«, sagte Tiama.
»Du wolltest doch sowieso das meiste davon zerstören. Du hast selbst gesagt, es gäbe hier nichts von Wert für dich. Warum gehst du also nicht einfach?«
»Appellierst du an mein Mitleid?«
»Nicht an dein Mitleid. An deine Gleichgültigkeit. Aber wenn du es so betrachten willst: Vielleicht wäre nichts grausamer, als sie ihren Flüchen zu überlassen. Man könnte sagen, dass der Tod ein Akt der Barmherzigkeit für die meisten hier wäre. Und wenn dir das als Grund nicht ausreicht, wie wäre es dann mit der einfachen Tatsache, dass sich das Schloss auch ohne ein
Weitere Kostenlose Bücher