Zuchthengst zu verkaufen
Anblick nicht die leiseste Ahnung, um was für Dokumente es sich handelte. Jedenfalls waren die Blätter wild durcheinander. Eine längst überfällige Rechnung für eine Wagenladung Hafer lag auf einem Stammbaumzertifikat, das ein Rassepferd auswies. Gleich darunter befand sich eine handgeschriebene Notiz, die auf einen Kauf vom vergangenen Sommer hinwies und eindeutig aus einer Agenda herausgerissen worden war. So arbeitete er sich Blatt für Blatt erst auf dem linken, dann auf dem rechten Stapel nach unten und sortierte die Papiere in logische Stapel, die er auf dem Bücherregal nebeneinander platzierte.
Es hatte den Anschein, dass im gesamten letzten Jahr keine einzige Rechnung bezahlt worden war. Bis dahin hatte er alle Belege feinsäuberlich in korrekt angeschriebenen Ordnern abgelegt vorgefunden, doch danach regierte das pure Chaos. Kein Wunder, dass nach und nach die Lieferungen ausblieben und die Vorräte alle aufgebraucht waren. Kein Unternehmen konnte es sich auf die Dauer leisten, die Ware gratis auszuliefern, ohne Aussicht auf Bezahlung.
Diese teilweise stark zerknüllten Rechnungen, die aussahen, als wären sie achtlos weggeworfen worden, machten den zweitgrössten Stapel an Papieren aus. Der grösste beinhaltete ein Dokument, dessen Tragweite Grant erst nach ausgiebigem Studium bewusst wurde. Es war der analytische Bericht eines Geologen, der an verschiedenen Stellen auf diesem Grundstück Bodenproben untersucht hatte und zum Schluss gelangt war, dass hier Erdölreserven lagerten. Die Abhandlung war über achtzig Seiten lang. Dank säuberlich notierten Seitenzahlen konnte Grant das Dokument fehlerfrei einordnen. Doch er musste feststellen, dass eine einzige Seite fehlte. Bei der herrschenden Unordnung war dies nicht weiter verwunderlich. Aus dem Inhalt des restlichen Dokuments ging hervor, dass auf der fehlenden Seite die Koordinaten stehen müssten, wo die Ölvorkommen lagerten. Dass genau dieser Teil fehlte, liess alle Alarmglocken bei Grant erklingen.
Er musste unbedingt mehr über Sam O’Leary und seine Erbin in Erfahrung bringen, bevor er sich über den Stand der Dinge ein Urteil machen und seine Entdeckungen entsprechend einordnen konnte. Also setzte er sich ganz nach englischer Art mit ihr ins Wohnzimmer und trank eine Tasse Tee.
„Seit wann ist Sam tot?“
„Seit einem Jahr.“
„Und Du bist erst nach seinem Tod hergezogen oder warst Du schon vorher da?“
„Oh nein, ich bin am selben Tag wie Scott hier eingetroffen.“
„Dann hat während den letzten zwölf Monaten niemand hier nach dem Rechten gesehen?“
„Es macht fast den Anschein. Tatsächlich hatte mein Grossonkel wohl einige Arbeiter angestellt, die über seinen Tod hinaus hier arbeiteten. Aber irgendwann in den letzten Tagen mussten sie alles im Stich gelassen haben.“
Wahrscheinlich hatten sie das sinkende Schiff verlassen, als die Löhne nicht mehr flossen. Der Anwalt hatte ihr schliesslich versichert, dass das gesamte Kapital aufgebraucht sei. Oder konnte es andere Gründe gehabt haben?
„Ja, die Tiere sind vernachlässigt, aber sie wurden bis vor kurzem noch gefüttert, sonst hätten sie das Jahr nicht überlebt. Allerdings wurde ausser der Fütterung wohl nicht viel gearbeitet hier. Den Bürokram hat niemand erledigt. Keine einzige Rechnung wurde bezahlt und überall hier sieht es aus, als ob seit Monaten nicht mehr sauber gemacht worden wäre – ausser natürlich dort, wo Sie bereits geputzt haben.“
„Keine einzige Rechnung ist bezahlt worden, sagen Sie? Aber das kann nicht stimmen. Die Rechnungen sind alle über den Anwalt gelaufen.“
„Das ist ein Punkt den wir am Montag mit ihm besprechen müssen. Vielleicht sind dies hier nur Doppel der Rechnungen die er tatsächlich beglichen hat. Wir werden sehen.“
Nach einem Schluck Tee lenkte Grant das Gespräch in andere Bahnen:
„Warum haben Sie sich so lange Zeit gelassen, um hier nach dem Rechten zu sehen?“
„Es war mir nicht möglich, vorher anzureisen.“
Da – sollte er damit machen was er wollte. Sie würde ihm bestimmt nicht ihre ganze traurige Leidensgeschichte aufbürden. Zudem ging es ihn überhaupt nichts an, dass sie bei Sams Tod dabei gewesen war und im selben Unfall ihr eigenes Leben fast verloren hätte.
„Schade, wenn ich eher hätte eingreifen können, wäre vielleicht noch einiges zu retten gewesen.“
„Sieht es denn im Moment völlig aussichtslos aus?“
Ein lautes Schnauben war die Antwort, dann aber führte er seine
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