Zuckerblut
musste und sich solange die Abteilungsleiterin selbst für zuständig erklärt hatte.
Lindt atmete sichtlich auf und war froh, in ein paar Tagen wieder wie gewohnt mit Tilmann Conradi zusammenarbeiten zu können.
Sternberg und Wellmann hatten durch die halb geöffnete Bürotüre das Telefonat und die ungewohnte Erregung ihres Chefs mitbekommen.
»Sagt jetzt lieber nichts«, kam er ihren Fragen zuvor. »Ihr habt ja sicher gehört, was los war. Es kann wieder alles nicht schnell genug gehen. ›Lea Frey‹ wird so langsam zu einem Reizwort für mich. Aber ihr könnt euch beruhigen, bald ist der ›Kurze‹ wieder für unseren Fall zuständig.«
Noch bevor jemand etwas Weiteres hätte sagen können, ging die Bürotüre auf und die zur Unterstützung eingeteilten Kollegen traten ein, um zu berichten.
Die Befragung der von Andrea Helmholz betreuten Patienten und deren Angehörigen war nun abgeschlossen. Das Bild einer Krankenschwester, die in ihrem Beruf voll aufging, was sich durch die Aussagen der Eltern und der Arbeitskollegin ergeben hatte, bestätigte sich ganz und gar. Eine außergewöhnlich tüchtige Pflegekraft, die weit mehr als das übliche Maß an beruflichem Engagement zeigte und überall sehr anerkannt und beliebt war. Ihre fachliche Kompetenz, umsichtige Art und große Erfahrung brachten ihr hohe Anerkennung ein.
»Wenn Schwester Andrea eine Spritze verabreichte oder einen Verbandwechsel durchführte«, berichtete einer der Beamten, »wurde das von den meisten Patienten als weitaus weniger schmerzhaft und unangenehm empfunden, als bei der Mehrzahl der anderen Pflegekräfte. Alle Befragten, auch die Angehörigen, haben durchweg nur Positives von ihr berichtet.«
»Fast alle«, korrigierte sein Kollege.
»Ja, es gab zwei Fälle, wo wir eine leichte Missstimmung spürten, aber da sind wir uns selbst nicht ganz einig, wie wir das bewerten sollen.«
Lindt und seine Mitarbeiter hörten interessiert zu.
»In einem Haushalt haben wir das totale Chaos angetroffen. Die Wohnung ist eigentlich viel zu klein für eine Familie mit vier Kindern zwischen drei und zwölf. Der Vater hat massive Alkoholprobleme und deswegen auch seine Arbeit in einer Maschinenbaufirma verloren. Er liegt den ganzen Tag auf dem Sofa und schaut fern. Jede Menge leerer Bierflaschen um sich herum verstreut – auch härtere Sachen dabei. An der Mutter hängt alles: Haushalt, Kinder, dann geht sie noch putzen – in der eigenen Wohnung allerdings weniger. Und in einem ganz kleinen Zimmer, fast eine Abstellkammer mit einem ganz kleinen Fenster, ist die pflegebedürftige Oma einquartiert.«
»Darf ich mal raten«, warf Jan Sternberg ein, »die leben bestimmt von Omas Rente.«
»Genau, das vermuten wir auch. Die Oma hat eine halbseitige Lähmung, kann kaum mehr sprechen, liegt fast immer im Bett und kommt höchstens zum Waschen, Essen oder Toilettengang mal auf den Nachtstuhl. Es machte auf uns den Eindruck, als sei sie absolut lästig, aber im Pflegeheim würden natürlich erst Rente und Ersparnisse verbraucht, bevor die Sozialhilfe für die Kosten aufkommt.«
Lindt nickte: »Das leuchtet mir ein. Wenn die Frau zuhause gepflegt wird, hat die Familie Omas Geld zur Verfügung und kassiert noch die Leistungen der Pflegeversicherung.«
»Richtig, die Rente oder genauer die Pension scheint nicht schlecht zu sein, denn der verstorbene Großvater war Beamter bei der Bahn. Wenn man dann noch die Sozialhilfe, das Pflegegeld und die schwarzen Euros aus Mutters Putzstelle dazurechnet, scheint es zumindest für genügend alkoholischen Nachschub zu reichen. Insgesamt ist das Geld in dieser Familie aber sicher sehr knapp und da lag wohl auch der Konflikt mit Schwester Andrea. Ganz ohne Pflegedienst ging es eben doch nicht und so kam sie einmal in der Woche, um die Frau zu baden. Das Minimalprogramm eben, möglichst billig, nur, was unbedingt sein musste.
Da scheint Andrea Helmholz dann einiges bemängelt zu haben. Der Mann hatte schon ein paar Bierchen intus, als wir ihn befragten und war auf das Thema Pflegedienst und Schwester Andrea nicht gut zu sprechen. Er hat uns nur knapp Auskunft gegeben, aber vor ein paar Tagen ist die Situation wohl eskaliert. Die Schwester hat anscheinend von untragbaren Zuständen gesprochen, mangelnde Sauberkeit, nicht fachgerechte Pflege und angekündigt, irgendeinen Dienst vorbeizuschicken.«
»Bestimmt der Medizinische Dienst der Krankenkassen«, fügte Paul Wellmann ein. »Die sind für die Einstufung in die
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