Zuckerblut
meinte Paul Wellmann nur trocken. »Hoffentlich verbringen wir die nächsten Tage nicht nur mit den Krankengeschichten von gebrechlichen alten Menschen.«
»Ich fürchte doch, Paul«, antwortete Oskar Lindt, »denn das war anscheinend der wichtigste Lebensinhalt von Schwester Andrea. Aber tröste dich, auch den Kollegen, die uns unterstützen, geht es nicht besser.«
»Nur mit dem kleinen Unterschied, dass bei denen vielleicht ein paar lebendige Patienten auf der Liste stehen, wo der Altersdiabetes sein zerstörerisches Werk noch nicht vollendet hat.«
Das Ergebnis ihrer Umfrage unter den Anwohnern überraschte die beiden Hauptkommissare nicht. Diesmal war die Frau knapp unter achtzig Jahren alt gewesen, aber sie hatte durch die Zuckererkrankung fast vollständig das Augenlicht verloren. Der Rest der Geschichte war wieder ähnlich. Weinbrecht pflegte, gab die Insulininjektionen, oft persönlich, und entdeckte Anna Kraus dann auch tot auf dem Sofa, als er ihr die morgendliche Spritze geben wollte.
Lindt legte seine Stirn in tiefe Falten. »Eigentlich ist das ja alles für einen Pflegedienst der Normalfall. Der Pflegevertrag mit dem jeweiligen Patient endet eben mit dessen Tod.«
»Oder seinem Umzug in ein Pflegeheim, wenn er nicht mehr alleine zuhause bleiben kann«, ergänzte Paul Wellmann.
»Richtig, von daher eigentlich überhaupt nichts Verdächtiges. Ein Dienstleistungsunternehmen hat eine Geschäftsbeziehung mit einer Privatperson. Das Unternehmen lebt von dieser Leistung, also wird es sicherlich nicht daran interessiert sein, dass der Kunde plötzlich abspringt.«
»Schon gar nicht, dass er in die Kiste springt«, kalauerte Wellmann sehr makaber.
»Bitte nicht so geschmacklos, Paul. Aber je besser der Patient gepflegt wird, umso größer ist die Chance, dass er dem Pflegedienst noch lange Zeit reichlich Einnahmen beschert.«
»Also alles unverdächtig! Keinerlei Motiv! Du meinst, Oskar, wir sollten die Spur zu den Akten legen?«
»Wenn wir nicht diesen Stadtplan mit den fünf Blutspritzern hätten, den uns eine Krankenschwester zukommen ließ, die jetzt rein zufällig ermordet worden ist.«
»Schon ein etwas merkwürdiger Zufall, da muss ich dir Recht geben. Also, was tun wir? Die letzten beiden Adressen auch noch aufsuchen. Es wäre ja nicht so weit. Rüppurr und Südstadt fehlen uns noch.«
Lindt startete den Motor und steuerte erst den Straßenzug entlang dem kleinen Flüsschen Alb und danach die Südstadt an. Wie nicht anders zu erwarten, bekamen die Beamten an beiden Orten ähnliche Auskünfte wie an den drei anderen Stellen.
Spontan lenkte Lindt seinen Dienstwagen auf den freien Parkplatz direkt neben einem Lokal mit einladender Gartenterrasse. Er bemerkt Wellmanns fragenden Blick, schaute auf seine Armbanduhr und meinte nur: »Für mich ist heute Feierabend. Ich brauche jetzt noch etwas Ruhe unter einem schattigen Kastanienbaum, um zu überlegen. Wenn du Lust hast, denken wir gemeinsam nach – wenn nicht, kannst du mit der Straßenbahn zum Präsidium zurückfahren.«
Er wusste genau, dass sein langjähriger Kollege einen solchen Vorschlag nie ablehnen würde und ging deshalb auf einen freien Tisch zu, ohne eine Antwort abzuwarten.
Längere Zeit schwiegen beide. Lindt stopfte sich gewohnheitsmäßig eine Pfeife und sein Kollege studierte die Karte. Als die Kellnerin kam, entschied sich Lindt wie immer für Milchkaffee und Wellmann für Weizenbier, Hefe – dunkel.
Lindts Handy klingelte. »Wir wissen es bereits, Jan, wir waren schon dort«, war seine Antwort auf die Mitteilung von Jan Sternberg, dass Schwester Andrea auch die Namen der Toten in der Südstadt und in Rüppurr auf ihrem Arbeitsplan vorzuweisen hatte – allerdings zuletzt vor ungefähr eineinhalb Jahren, lange bevor die Leute verstorben waren.
Lindt rührte in seinem Milchkaffee, und dicke Rauchwolken aus seiner Pfeife zogen direkt zu den drei Studenten am Nachbartisch. Er machte sich allerdings kein schlechtes Gewissen, denn die jungen Leute dort rauchten eine Zigarette nach der anderen, also würden sie sich durch seinen Pfeifenqualm sicherlich nicht gestört fühlen.
»Sargnägel, diese Zigaretten« meinte Lindt zu Paul Wellmann und deutete an den Nachbartisch. Er war immer noch der festen Meinung, dass nur inhalatives Rauchen zu Lungenkrebs und den anderen schweren Erkrankungen führen konnte. Das Paffen an seiner Pfeife war für ihn völlig harmlos, eine Spielerei sozusagen.
»Du bekommst dann den Krebs halt mal
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