Zuckerblut
schweren Lampe stammen, die vom Nachttisch gestoßen wird. Schau dir das Exemplar auf der anderen Bettseite doch mal an. Nur so ein massiver Metallfuß kann sich derartig tief und scharfkantig in das Hartholz am Boden drücken.«
»Du meinst, ein Wasserglas oder ein Teller, der runterfällt, würde keine so deutliche Spur hinterlassen.«
»Ein oberflächlicher Kratzer im Lack vielleicht, aber sonst nicht viel.«
»Und daraus folgern wir ...«
»Dass die Lampe, und zwar dasselbe schwere Modell wie da drüben, von genau diesem Nachttisch neben dem Bett des alten Baumbach zu Boden fiel.«
»Zufällig? Wohl kaum!«, dachte Paul Wellmann nach.
»Also, wann dann?«
»Vielleicht beim Putzen?«
»Ach was, so ein großes stabiles Teil, das glaube ich nicht.«
»Woran glaubst du dann, Oskar?«
»Wie wäre es mit einem Kampf, oder so was ähnlichem?«
»Ein Kampf? Wer soll denn hier gekämpft haben und mit wem bitteschön?«
»Das sage ich dir gleich, komm, lass uns gehen, bevor der junge Baumbach mit seinen Kaufinteressenten hier rein kommt und sieht, dass wir gerade den beschädigten Fußboden betrachten.«
Eilig schob Lindt seinen Kollegen zur Schlafzimmertüre hinaus auf den Flur, wo der Anwalt eben dabei war, einem älteren Ehepaar in den höchsten Tönen die Vorteile des Wohnens auf einer Ebene anzupreisen.
Schnell verabschiedeten sich die Kommissare und Lindt fügte mit einem Augenzwinkern in Baumbachs Richtung hinzu: »Wirklich ein erstklassiges Objekt und alle wichtigen Räume auf einem Stockwerk. Ich lasse von mir hören.«
13
»Der wird sich noch bei uns dafür bedanken, dass wir den Preis in die Höhe getrieben haben«, meinte Paul Wellmann, als die beiden wieder in den Dienstwagen eingestiegen waren. »Jetzt aber raus mit der Sprache, zwischen wem soll in diesem Schlafzimmer ein Kampf stattgefunden haben?«
»Ist doch klar, Paul, zwischen dem Richter und seinem Mörder.«
»Na, das hört sich aber pathetisch an, fast wie bei Dürrenmatt – ›Der Richter und sein Henker‹. Der alte Baumbach ist doch an einer Lungenembolie gestorben.«
»Wer sagt das denn? Gab es eine Obduktion? Nein, mein Lieber, den Tod hat ein ganz gewöhnlicher Hausarzt festgestellt. Genau der Doktor, der seinen Patienten schon lange Zeit vergeblich davon zu überzeugen versuchte, das Medikament zur Blutverdünnung einzunehmen.«
»Und jetzt wird er gerufen, weil der alte Richter friedlich tot im Bett liegt«, setzte Wellmann den Gedankengang seines Chefs fort. »Da denkt unser guter Allgemeinarzt, kriminalistisch nicht geschult und auch sonst ohne Argwohn ...«
»Da denkt dieser liebe Mann gar nicht viel, sondern murmelt höchstens vor sich hin: ›Das hast du nun davon. So geht’s, wenn man nicht auf seinen Doktor hört.‹«
»Und ohne weitere intensive Untersuchung kreuzt er ›natürliche Ursache‹ auf dem Totenschein an. Na, was sagst du nun, Paul?«
Wellmann schwieg eine Viertelminute und antwortete dann: »Da sag ich erst mal gar nichts, ich frag mich aber, wie du beweisen willst, dass der alte Mann eben nicht eines natürlichen Todes gestorben ist und zudem ...«, fuhr er fort, »... es ist mir ja schon klar, dass du den Neffen als Täter im Visier hast, aber auch wenn er in Geldnot war und ihm die ganze Sache sehr gelegen kam ... ich weiß nicht recht.«
»Tja, der Neffe oder ein Unbekannter – Lungenembolie oder Mord – wenn ich das schon wüsste«, antwortete ihm Lindt und kratzte sich wieder einmal reflexartig am Ohr. Sein Kollege startete den Volvo und schob den Wählhebel der Automatik auf ›D‹.
»Um mir das genauer zu überlegen, brauche ich mindestens drei Pfeifen.«
»Aber bitte erst im Präsidium, Oskar, hier drin wird mir die Luft sonst doch etwas zu dick.«
Gelegentlich rauchte Paul Wellmann auch eine Zigarette, aber die Vorstellung, im Auto von den Qualmwolken seines Kollegen eingenebelt zu werden, missfiel ihm sehr.
»Hoppla, das ist doch ... ach so, an den hatte ich ja gar nicht mehr gedacht ...«, rief Lindt aus, nachdem sie wenige Meter gefahren waren und in einer Seitenstraße den großen dunkelroten Citroën XM bemerkten. Im Moment hatte Lindt gar nicht an Jan Sternberg und die Beschattungsaktion gedacht.
»Na, im Schatten haben sie ja wenigstens geparkt. Bin mal gespannt, was sonst noch bei der ganzen Aktion herauskommt.«
Ohne anzuhalten fuhren sie weiter und winkten nur ganz kurz, als sie den Wagen passierten.
Auf dem Weg zurück zum Präsidium machte jeder sich seine eigenen
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