Zuckerblut
Beine hätten mit den richtigen Maßnahmen längst wieder verheilt sein können – das hat mir eine der Schwestern mal vertraulich angedeutet.«
»War das denn die Frau Helmholz? Sie wissen schon, die Ermordete?«
»Nein, nein, nicht diese Schwester Andrea. Die kam auch nur sporadisch. Ich selbst habe sie nur ein einziges Mal am Wochenende hier angetroffen. Mein Onkel scheint sie allerdings sehr gemocht zu haben. Er bedauerte es, nicht zu ihren ständigen Patienten zu gehören.«
»Hmm«, brummte der Kommissar. »Als medizinischer Laie kann man sich gegen die Fachleute eines Pflegedienstes wohl schlecht durchsetzen.«
»Ganz genau«, stimmte ihm der Anwalt zu. »Dieser Weinbrecht hatte stets eine plausible Begründung, warum die Heilung nicht so schnell geht. Mal war es das Alter, mal die Tatsache, dass mein Onkel schon viele Jahre an seinen kranken Beinen litt. Irgendwas war immer an der verzögerten Heilung schuld und letztendlich ist er ja auch daran gestorben.«
»Ja ... wie ... an mangelhafter Pflege etwa?«, fragte Lindt erstaunt.
»Nein, nein, so habe ich das nicht gemeint.« Baumbach trat nervös von einem Bein auf das andere, um die richtigen Worte zu finden. »Das habe ich Ihren Kollegen doch schon berichtet, als die bei mir in der Kanzlei waren: Onkel Alfons lag eines Morgens einfach tot in seinem Bett, die Putzfrau hat ihn dort gefunden. Gut, er war vierundachtzig, aber außer seinem Beinleiden hat ihm wirklich nichts gefehlt. Vom Herz her könnte er hundert werden, meinte sein Hausarzt immer wieder. Allerdings wollte er ihm zur Blutverdünnung ein gerinnungshemmendes Medikament verordnen, Marcumar hieß das, aber mein störrischer Onkel hat es einfach nicht eingenommen.«
»Und Sie meinen, zu dickes Blut käme als Todesursache in Frage?«, stellte sich Lindt etwas dumm, obwohl er die Zusammenhänge aus dem Bericht der Unterstützungsbeamten noch gut im Kopf hatte.
»Nein ... nicht direkt«, erklärte der Anwalt gedehnt und in einem Tonfall, den er wahrscheinlich auch bei besonders begriffsstutzigen Mandanten anzuwenden pflegte. »Der Hausarzt geht davon aus, dass sich im Bereich der entzündeten und offenen Beine irgendwo ein recht großer Thrombus, ein Blutpfropf, gelöst hat. Der kam dann über die Venen bis zur Lunge und hat sich dort festgesetzt.«
»Klar doch Oskar«, schaltete sich Paul Wellmann ein und versuchte seinem im medizinischen Wissen scheinbar etwas zurückgebliebenen Kollegen den Ablauf einer Lungenembolie zu erklären. »In der Lunge hat dieses Gerinnsel dann einfach eine große Blutader blockiert. Bei so was kann man schlagartig umfallen und tot sein. Bei meinem Nachbarn ...«
»Ja, Paul, danke, ich hab’s jetzt verstanden«, unterbrach ihn Lindt mit gespielter Gereiztheit. »Die Geschichte von deinem Nachbarn hast du schon öfter erzählt und außerdem konnte der Richter hier ja nicht umfallen, weil er schon im Bett lag.«
»Entschuldigen Sie bitte ...«, wandte sich der Kommissar wieder an den Anwalt und neigte seinen Kopf schnell in Richtung Wellmann, »... er hat nicht immer genügend Geduld mit mir.«
Baumbachs verständnisvolles Lächeln zeigte kurz einen Anflug von Geringschätzigkeit und den Ausdruck von – ›die beiden Polizisten sind wohl nicht die hellsten‹ – ,was Lindt zufrieden registrierte.
Die bewährte Methode, einem Gesprächspartner das Gefühl geistiger Überlegenheit zu vermitteln und ihm dadurch vielleicht eine etwas unüberlegte Äußerung zu entlocken, schien auch in diesem Fall zu funktionieren.
Interessiert schaute er umher, als Zeichen, die Besichtigung des Hauses fortzusetzen.
Die Türen zu den verschiedenen Zimmern standen zwecks Lüftung weit offen und so konnten sich die beiden Kommissare einen raschen Überblick verschaffen. Der Boden aus Solnhofener Steinplatten zog sich von der Diele aus sowohl in das nach Westen gerichtete Arbeitszimmer, als auch in die nach Süden zur Gartenseite hin orientierte Wohnhalle, die durch große bodentiefe Fenster viel Sonne einfing.
Sowohl die hohen Bücherregale und der Schreibtisch im Arbeitsraum als auch die Möbel des Wohnzimmers waren in schlichter goldbrauner Eiche gehalten und schienen maßgefertigt zu sein. Vor dem offenen Kamin eine Sitzgruppe im englischen Stil, mit flaschengrünem Leder bezogen und im Hintergrund des Raumes standen zwölf dazu passende Stühle um einen langen massiven Esstisch.
»Sie haben wohl noch gar nichts verändert hier drin«, stellte Oskar Lindt fest, als die
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