Zuckerblut
rhetorisch sehr geschickt, gelang es ihm immer wieder, die Richter einzuwickeln. Wenn er dann merkte, dass die Stimmung im Saal zu seinen Gunsten war und wir von der Anklageseite quasi als die Bösen dastanden, präsentierte er regelmäßig Zeugen, die hundertprozentig gekauft waren und Stein und Bein auf die Unschuld des Angeklagten schworen.«
»Ich verstehe«, erwiderte der Kommissar, »mehrere Zeugen mit genau abgesprochenen Aussagen, die lügen wie gedruckt, denen man aber das Gegenteil nicht beweisen kann.«
»Völlig richtig, so ist es uns schon mehrfach ergangen. Anschließend werden noch einige entlastende Unterlagen – gefälscht natürlich, das aber so geschickt, dass es auch nicht zu beweisen ist – auf den Richtertisch gelegt und schon heißt es ›in dubio pro reo‹, im Zweifel für den Angeklagten. Der Freispruch kommt postwendend.«
»Das ist dann aber höchst ärgerlich für Sie und ihre Arbeit«, kommentierte Lindt die Schilderung des Staatsanwalts.
»Ärgerlich, ha«, schnaufte der durch das Telefon. »Fragen sie doch mal Ihre Kollegen aus den anderen Dezernaten. Wenn sie auch noch so sorgfältig ermittelt hatten, dieser Baumbach spürte selbst die kleinste Schwachstelle in den Akten auf und schlachtete das dann geradezu genüsslich aus. Aber alles in einem sehr freundlichen und verbindlichen Ton und einer Atmosphäre, die ihm gleich die Sympathie des Gerichts eintrug.«
»Das kann ich mir wirklich gut vorstellen. So wie ich diesen Anwalt erlebt habe, macht der voll auf Vertrauensperson und wenn ich mir dann noch Ihre resolute Kollegin als Anklagevertreterin vorstelle ...«
»Ach, Sie meinen die ›Eiserne Lea‹, ... äh, nein ..., diesen Ausdruck vergessen Sie bitte gleich wieder ...«
»Klar doch, das habe ich natürlich nicht gehört, aber die Frau Oberstaatsanwältin, die mit ihrer scharfen Zunge auch gerne mal uns Ermittlungsbeamte zur Schnecke macht, hinterlässt bei der Verhandlung bestimmt keinen sympathischen Eindruck.«
»Und wenn dann noch der entsprechende Richter vorne sitzt, vielleicht einer, der zur Milde neigt und der dem höchst freundlichen Anwalt auch noch das Ansehen seines Onkels – Richter am Landgericht a.D. – zugute hält ... na, was dann passiert, brauche ich Ihnen wohl nicht weiter auszuführen. Aber der Tag wird kommen ...«, grollte der Staatsanwalt, und Lindt spürte förmlich durchs Telefon, wie sein Gesprächspartner die Faust ballte, »... der Tag wird ganz sicher kommen, an dem er es zu bunt treibt und dann, dann ...«
Er machte eine kurze Pause und atmete tief durch: »Wenn Sie diesem Kerl wirklich etwas nachweisen können, bin ich der Erste, der Sie unterstützt und zwar mit allen meinen Möglichkeiten.«
»Das beruhigt mich ungemein, Herr Conradi. Allerdings ist unser Hauptbeweis leider verbrannt.«
»Wieso denn das?«, stutzte der ›Kurze‹.
»Na, der verstorbene Baumbach senior, der wurde auf seiner letzten Reise leider schon im Hauptfriedhof durch das Fegefeuer geläutert.«
Stichwortartig ging der Kommissar nun noch auf die letztwillige Verfügung des Richters über Feuerbestattung ein, um dem Staatsanwalt die Notwendigkeit eines Vergleichs der Schreibmaschinenlettern und des Namenszuges zu erläutern. »Diese Untersuchung dürfte unsere einzige Möglichkeit sein, die Vorkommnisse um den Tod des Alten etwas aufzuhellen. An seiner Asche lässt sich ein eventueller Tathergang leider nicht mehr rekonstruieren, dafür war die Temperatur einfach zu heiß.«
Lindt räusperte sich: »Aber heiß und frisch gebrüht ist auch unser Kaffee – am besten, Sie schauen mal auf einen Becher vorbei, dann können wir den ganzen Sachverhalt in aller Ruhe durchsprechen.«
Der Gedanke an den ›besten Kaffee im ganzen Präsidium‹, wie sich der Staatsanwalt immer ausdrückte, war sehr verlockend und er versprach, erst nach Aufsätzen des alten Richters zu suchen und dann umgehend ins Büro der Ermittlungsgruppe zu kommen.
»Schon gefunden!« Mit einer aufgeschlagenen juristischen Fachzeitschrift wedelnd kam Tilmann Conradi bereits eine halbe Stunde später durch die Bürotür von Lindts Ermittlungsgruppe.
»Unser Kaffee scheint eine magische Anziehungskraft zu besitzen«, meinte Jan Sternberg, der immer noch mit der Recherche im Internet beschäftigt war.
»Bis zur Staatsanwaltschaft reicht der feine Duft zwar nicht«, erwiderte der Jurist, »aber irgendwie kam mir gleich das richtige Blatt in die Finger. Ich habe auch schon mit dem Verlag
Weitere Kostenlose Bücher