Zuckerblut
regelmäßig von einem vereidigten Wirtschaftsprüfer unter die Lupe genommen und außerdem gab es ja diese umfangreiche Zeitung.«
Er erinnerte sich wieder an das Informationsmaterial über die Kindernothilfe. Die Bilanzen waren darin offen gelegt und über die Verwendung jedes einzelnen Euro klare Rechenschaft gegeben worden.
»Vielleicht haben die etwas getrickst, was selbst ein gewiefter Buchprüfer nicht durchschauen konnte«, gab Sternberg zu bedenken. »Allerdings habe ich da auch noch keine Idee.«
Der Kommissar stand auf. »Ich muss jetzt mal raus, um frische Luft in meinen Kopf zu bekommen. Sucht bitte weiter hier im PC. Wenn in diesem Verein etwas faul ist, haben die sicherlich irgendeinen, wenn auch noch so kleinen Fehler gemacht – und den müssen wir finden.«
Es war Lindts langjährige Erfahrung, dass selbst bei einem scheinbar perfekt inszenierten Verbrechen immer irgendwo ein Haken war. Um den zu finden, das wusste er aber genauso gut, brauchte es sehr viel Zeit. Harte, oft eintönige kriminalistische Kleinarbeit war nötig und auch ein Quäntchen Glück.
»Dir fällt bestimmt was ein, Jan«, munterte er seinen Mitarbeiter auf und verließ das Polizeipräsidium mit langen Schritten.
21
Eigentlich wollte er nur einmal um den Block gehen, aber als die große gebogene Pfeife gefüllt und in Brand gesetzt war, ging er quer bis zur Karlstraße und dann weiter in Richtung Hauptbahnhof.
Ein kleines Café hatte Tische und Stühle nach draußen gestellt. Lindt fühlte sich angezogen, nahm Platz und bestellte seinen obligatorischen Milchkaffee, während er den duftenden Rauch seines Navy-Flake-Tabaks in Richtung Straße ziehen ließ.
Er mochte eine halbe Stunde gesessen sein, rührte dabei ab und zu in seiner großen Tasse, damit der Inhalt schneller abkühlte und konnte irgendwie keinen klaren Gedanken fassen.
In seinem Kopf schwirrten alle möglichen Blitze durcheinander. Pflegedienst ... Patienten ... Nachlass ... Kindernothilfe ... Waisenhäuser ... Kroatien ...
Am Stichwort Kroatien blieb er hängen. Frau Weinbrecht war jetzt vermutlich schon dort, in ihrer Heimat.
Obwohl, seit über zwanzig Jahren hatte sie in Deutschland gelebt. War der Balkan für sie dann noch die eigentliche Heimat oder eher ein erinnerungsreiches Ferienziel?
Ob sie dort viele Verwandte hatte? Vielleicht waren auch Familienangehörige in den Kriegswirren umgekommen?
Der Kommissar ärgerte sich, dass die Frau sich seinem Zugriff hatte entziehen können. Falls ihr Mann tatsächlich etwas auf dem Kerbholz hatte – und davon war Lindt felsenfest überzeugt, warum hätte er sonst fliehen sollen – dann war seine Ehefrau bestimmt an der Sache beteiligt.
Gab es mit den Ländern des früheren Jugoslawien irgendwelche Auslieferungsabkommen? Keine Ahnung, musste er sich eingestehen.
Doch so weit waren seine Ermittlungen noch lange nicht. Bisher galt Branka Weinbrecht als die sehr erfolgreiche Geschäftsführerin eines höchst angesehenen Kinderhilfswerks, dessen Gelder in den Kinderheimen und Waisenhäusern des Balkanlandes überaus sinnvoll angelegt waren.
Inständig hoffte er, dass die KTU oder die Analyse der Computer wirklich handfeste Beweise ergeben würden, um wenigstens Harald Weinbrecht vor Gericht bringen zu können.
Wie würde die Anklage lauten? Flucht vor der Polizei vielleicht? Das war sicherlich keine Straftat, höchstens eine Ordnungswidrigkeit, die mit einem Bußgeld erledigt werden konnte.
Lindt wartete eigentlich schon länger darauf, dass sein Handy klingelte und irgendein einflussreicher Rechtsanwalt aus dem Spenderkreis der Kindernothilfe die sofortige Freilassung seines Klienten Weinbrecht forderte. Auch wenn der ›Kurze‹ ihm nachdrücklich versichert hatte, die Begründung für Untersuchungshaft wäre hieb- und stichfest und er brauche sich für seine Ermittlungen nicht unter Zeitdruck gesetzt fühlen. Der Kommissar kannte die weit reichenden Verflechtungen in Juristenkreisen und hatte schon Festgenommene mit wesentlich klareren Haftgründen wieder auf freien Fuß setzen müssen.
Seine Stimmung verdüsterte sich mehr und mehr. Wie schon so oft in diesen Ermittlungen hatte er das Gefühl, vor einer unüberwindlichen Wand zu stehen. Nicht vorwärts zu kommen, zerrte mächtig an seinen Nerven.
›Vielleicht werde ich doch langsam zu alt für diesen Beruf?‹ Aber er konnte sich nicht vorstellen, dass ein jüngerer Kollege schneller vorangekommen wäre. Immerhin war ihm ja sogar noch der
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