Zuckerblut
Kontoauszügen tauchen auch in der Buchführung wieder auf. Sehr akkurat geführt übrigens.«
Er machte eine bedeutungsschwere Pause. »So weit stimmt alles. Aber ...«
»Aber was?«, fragten Lindt und Wellmann wie aus einem Mund.
»Alle, aber auch wirklich alle Zahlungen gingen nur an eine einzige Firma, nämlich die ›Interbau‹ mit Sitz in Zagreb.«
»Wie ist denn das zu verstehen?« Lindt schaute ganz verblüfft.
Jan Sternberg schaltete sich jetzt wieder ein: »Diese ›Interbau‹ muss wohl so eine Art Generalunternehmer sein.« Er schlug eine mit gelbem Fähnchen markierte Seite in der Vereinszeitung auf und begann vorzulesen: »Interbau-Zagreb wickelt als kompetenter Partner vor Ort in unserem Auftrag mit seiner großen lokalen Erfahrung alle Geschäfte der Kindernothilfe ab.«
»Hmm ...», brummte Lindt, wie immer, wenn er noch nicht klar sehen konnte. Zwei tiefe Falten zeigten sich auf seiner Stirn. »Hmm ..., das ist aber ziemlich ungewöhnlich.«
Paul Wellmann wollte die Kindernothilfe wiederum in Schutz nehmen: »Wird wohl einfach notwendig sein. Ein Ansprechpartner vor Ort, der die Landessprache spricht, die einzelnen Firmen kennt, die günstigsten Angebote auswählen und auch entsprechend kontrollieren kann – von Deutschland aus lässt sich so etwas bestimmt gar nicht bewerkstelligen.«
Sternberg gab ihm Recht: »So weit sind wir uns einig. Diese Firma wurde ja in der Vereinszeitung offiziell vorgestellt und somit war die Öffentlichkeit jederzeit unterrichtet. Außerdem finden sich hier zu fast jeder Investition umfangreiche Bildberichte. Auch Ortsbesichtigungen durch die Vorstandschaft des Vereines gab es mehrmals im Jahr.«
»Na also«, klang Wellmann fast etwas ärgerlich, »was soll dann an der Sache nicht stimmen?«
»Ganz einfach«, ließ Jan Sternberg jetzt die Bombe platzen. »Die ›Interbau‹ wurde von Deutschland aus geführt und zwar genau mit diesem Computer!«
»Wie bitte?« Lindt war sehr irritiert. »Soll das etwa heißen ...?«
»Genau, Chef. Mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit besitzt dieses Unternehmen in Zagreb genau zwei Dinge: ein Bankkonto und einen Briefkasten!«
»Und du meinst, alles andere passierte von hier, von Karlsruhe aus? Können wir das beweisen?«
»Klar doch, sehen Sie bitte.«
Sternberg öffnete weitere Dateien. »Die waren alle gelöscht. Sämtliche Rechnungen, die ›Interbau‹ an die Kindernothilfe geschrieben hat, wurden auf diesem PC hier getippt.«
Eine Rechnung nach der anderen tauchte auf.
Die beiden Kommissare waren sprachlos. Auch Paul Wellmann begann zu zweifeln.
»Und das Beste zum Schluss«, hörte sich Jan Sternbergs Stimme fast triumphierend an. »Wir haben noch ein weiteres Online-Bank-Programm gefunden. Mit dem wurden die ›Interbau‹-Geschäfte in Zagreb abgewickelt.«
Er klopfte auf das Metallgehäuse des Computers: »Und zwar alles von diesem Rechner aus – über das Internet!«
Ganz trocken warf der Kollege des Betrugsdezernates ein: »Auf dem Konto hier liegen im Moment ... na, wer möchte mal raten ... läppische 4,15 Millionen Euro!«
»Sie können Ihren Mund ruhig wieder zumachen, Chef«, komplettierte Sternberg den Satz des Computerspezialisten, »diese Summe ist genau ein Viertel aller bisherigen Ausgaben der Kindernothilfe.«
»Womit wir wieder bei der ersten Tabelle wären«, nickte Lindt verstehend.
»Das ist ja wirklich ein dicker Hund!«, rang Paul Wellmann nach Luft.
»Jede Wette, dass der eingetragene Geschäftsführer der ›Interbau‹ nur ein Strohmann ist. Vielleicht ein Verwandter unserer Frau Weinbrecht«, mutmaßte er, dessen Vertrauen in humanitäre Einrichtungen gerade eben grundlegend zerstört worden war.
»Viel zu tun hatte er jedenfalls nicht«, witzelte Jan Sternberg. »Der Briefkastenschlüssel war wohl sein wichtigstes Arbeitsgerät.«
Lindt musste auch kurz lachen, aber er dachte weiter: »Sag mal, Jan, könnten wir denn an dieses Geld ran?«
»Sie meinen, wir sollen es holen? Aus Zagreb?«
Sternberg war etwas verwirrt, aber sein Kollege vom Betrugsdezernat hatte schneller kapiert: »Nein Jan, nicht im schwarzen Köfferchen, natürlich übers Internet, hier, mit diesem Bank-Programm. Das müssen wir auf jeden Fall versuchen, zurück überweisen nach Deutschland«, erwiderte er ganz elektrisiert. »Das Passwort haben wir ja schon geschafft. Jetzt brauchen wir nur noch etwas Glück, um die TAN-Liste zu finden. So unvorsichtig, wie diese Frau Weinbrecht in Sachen Datensicherheit
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