Zuckerblut
Zufall zu Hilfe gekommen, indem er das verräterische Gespräch zwischen beiden Weinbrechts im ›Schliffkopfhotel‹ mitbekommen hatte.
›Das war schon gehöriges Glück‹, sinnierte er in seine fast leere Café-au-lait-Tasse hinein. Er freute sich darüber und ein kleines Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht. Die Serviererin meinte, es würde ihr gelten und lächelte zurück.
Schnell zahlte der Kommissar und setzte deutlich besser, ja fast schon gut gelaunt, seinen Weg fort, eine Duftspur von Pfeifenrauch hinter sich herziehend.
»Sieh nicht immer nur das Negative«, hatte seine Frau in den letzten Tagen öfter zu ihm gesagt.
›Vielleicht sollte ich tatsächlich einmal üben, positiver zu denken‹, ging ihm beim Weitergehen durch den Kopf und fast schon elegant umrundete er einen Hundehaufen auf dem Gehweg.
›Jede Wette, mit mieser Stimmung wäre ich bestimmt hineingetreten.‹
In sich gekehrt schritt er vorwärts und immer mehr erkannte er, wie gut er es eigentlich hatte, mit einem wirklich angenehmen Kreis von Kollegen zusammenarbeiten zu können.
Fast dreißig Jahre mit Paul Wellmann – sie waren so aufeinander eingespielt, dass häufig der eine die Gedanken des anderen schon kannte, bevor sie ausgesprochen waren.
Jan Sternberg – bereits während seiner Ausbildung war er in Lindts Kommissariat gewesen und hatte später alles daran gesetzt, wieder in dieser Ermittlungsgruppe zu arbeiten. Jung, motiviert, voller Engagement und mit glänzenden Ideen – selbstverständlich förderte ihn sein Vorgesetzter, wo er nur konnte.
Ludwig Willms, der KTU-Chef, sein alter Freund, mit dem er früher viel unternommen hatte – auch, wenn sie sich ab und zu mal etwas stichelten, gab es keinerlei Differenzen.
Nicht zu vergessen Tilmann Conradi, der kleine Staatsanwalt, ein hervorragender Jurist. Selbst Lindts Eigenmächtigkeiten brachten ihn nicht aus dem Konzept. Er blieb in solchen Fällen völlig gelassen, weil er gelernt hatte, dass der Kommissar fast immer erfolgreich war.
›Fast immer?‹ Lindt runzelte die Stirn. ›Dieses Mal nicht?‹ Er nahm sich zusammen: ›Keinesfalls aufgeben, möglicherweise ist die Lösung schon ganz nah. Vielleicht sehen wir sie nur noch nicht!‹
›Wir‹, er hatte nicht nur ›Wir‹ gesagt, wie er es immer tat, wenn er die Arbeit seiner Ermittlungsgruppe nach außen darstellte, nein, er hatte auch ›Wir‹ gedacht.
›Eigentlich gehe ich doch ganz alleine hier vor mich hin, aber dennoch denke ich als Teil unseres Teams.‹
Er fühlte, wie ihm die positiven Gedanken Schwung und Zuversicht gaben, mit seinen Mitarbeitern, die auf der gleichen Wellenlänge lagen, auch diesen Fall zu lösen.
Ein würziger Geruch drang plötzlich in seine Nase und ließ ihn in die unmittelbare Realität zurückkehren. Er wunderte sich, wie weit er in Gedanken versunken mitt-lerweile gekommen war und schaute sich um.
›Dalmacija‹ stand in roten Lettern auf einem weißen Leuchtschild. Er erkannte die jugoslawische Gaststätte, die bestimmt schon über zwanzig Jahre an dieser Straßenecke war. Er betrachtete die Speisekarte in dem verglasten Schaukasten neben der Eingangstreppe.
Natürlich, Jugoslawien gab es ja nicht mehr, ›Kroatische Küche‹ stand als Überschrift zu lesen. Darunter Cevapcici, Raznjici, Pola-Pola, Dubrovnic-Teller ...
Schon wieder Kroatien! Vielleicht lag der Schlüssel zu seinem Fall doch in irgendeiner Art und Weise in diesem südosteuropäischen Land?
Seine Frau fand die Balkan-Küche meistens etwas zu fett und deshalb hielten sie sich kulinarisch gesehen eher an Italien und Frankreich.
Aber diese leckeren Hackfleischröllchen ...
Er strich sich mit der Zunge über die Lippen ... und blieb hart!
Nein, nicht schon wieder an Essen denken.
Schnell ging er weiter und eigentlich, ehrlich gesagt, hatte er zwar Appetit bekommen, doch lieber war es ihm, zusammen mit Paul oder Jan zu Mittag zu essen.
Am Stadtgarten entlang, auf der Beiertheimer Allee, nahm er große Schritte und traf gegen halb zwölf wieder im Präsidium ein.
Ohne dass Lindt etwas gesagt hätte, bemerkte Paul Wellmann sofort, dass sein Kollege an der frischen Luft neue Energie getankt hatte. Erstaunt schaute er ihn an: »Oskar, du siehst aus, als hättest du den Fall schon gelöst.«
»Noch längst nicht, Paul, aber ich bin jetzt wirklich sicher, dass wir es bald schaffen!«
»Und woher kommt dein Optimismus?«
»Keine Ahnung. Das schöne Wetter draußen bringt einen irgendwie auf
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