Zuckerguss (German Edition)
es ist nur mein Vater! Er wird mir kaum den Kopf abhacken, also ruhig Blut. Aber die guten Worte treffen bei meinem Blutdruck auf taube Ohren. Mein Herz pumpt die rote Flüssigkeit dermaßen schnell durch meinen Körper, dass mir kurz schwindelig wird und ich mich am Türgriff festhalten muss. Ich schließe die Augen und hole dreimal tief Luft. Dann öffne ich die Tür.
Mein Vater sitzt hinter einem massiven Schreibtisch aus Eiche, einem Erbstück von meinem Opa, den Kopf über einen Stapel Rechnungen gebeugt. Ich ziehe unweigerlich den Kopf ein und drücke mich in eine Ecke des Zimmers. Wie ein kleines Mädchen, das sich schämt. Ein ungutes Gefühl breitet sich in meinem Magen aus, als mein Vater den Kopf hebt und mich ansieht.
»Miriam.« Er klappt das Heft zu und lehnt sich in seinem Bürosessel zurück. »Danke, dass du gekommen bist.«
Ich presse abwartend die Lippen aufeinander. Ich kann mir denken, was nun kommt. Nämlich eine Schimpftirade der Sonderklasse. Mit allen Extras. Wegen meinem eigenmächtigen Handeln, den Kuchen im Laden zu verkaufen. Ich hab ja gleich geahnt, dass das eine dumme Idee war. Aber Alex wollte ja partout nicht auf mich hören. Jetzt gibt es eben die Quittung dafür.
Um mich abzulenken, lasse ich meinen Blick durch den Raum schweifen. An der rechten Wand hängt die Meisterurkunde meines Vaters, daneben sind zahlreiche Fotos von Eva, Alex und mir angebracht. Auf einem Bild ist sogar die ganze Familie abgelichtet. Sommerurlaub 1987 in Usedom, wenn ich mich richtig erinnere. Mama und Papa sitzen im Strandkorb, Eva hat ihre Nase in einem Buch vergraben und der kleine Alex buddelt im Sand. Und ich, ich strecke rotzfrech die Zunge heraus. Ein zaghaftes Lächeln huscht über meinen Mund.
»Du hattest schon damals deinen eigenen Kopf«, kommt es von meinem Vater in einem melancholischen Tonfall, den ich nicht von ihm kenne.
Ich drehe mich zu ihm um, die Hände hinter dem Rücken verborgen, in einem Fingerwust verknotet. »Es war definitiv nicht immer leicht mit mir.«
»Du wusstest eben genau, was du nicht wolltest. Und wenn man dich zu etwas zwingen wollte, hast du letztlich das glatte Gegenteil getan.«
»Stimmt«, lächele ich zögerlich. Mein damaliger Punker-Freund Florian ist so ein Beispiel. Im Nachhinein betrachtet wollte ich mit ihm wirklich nur meine Eltern ärgern. Hat ja auch prima geklappt.
»Wir haben dich trotzdem lieb, Miriam. Mama und ich.«
Ein dicker Kloß macht sich in meinem Hals breit. »Ich weiß.«
Also irgendwie geht dieses Gespräch gerade in eine völlig andere Richtung als angenommen. Eigentlich habe ich damit gerechnet, dass mein Vater mir obendrein wegen gestern Nacht die Leviten liest, schließlich habe ich mich nicht brav abgemeldet. Aber stattdessen sagt er mir, dass er mich liebhat. Ich hätte nie gedacht, dass ich in meinem Leben das L-Wort noch einmal aus seinem Mund hören würde.
Überhaupt ist mein Vater wie ausgewechselt. Ehrlich gesagt wäre es mir deutlich lieber, er würde mich anbrüllen. Damit kann ich besser umgehen, das bin ich gewohnt.
»Warum hast du mir nicht gesagt, dass du deinen eigenen Kuchen im Laden verkauft hast?«, erkundigt er sich mit gerunzelter Stirn.
Ich bin so perplex, dass ich mich verschlucke. »Woher weißt du das?«, krächze ich.
»Miriam« – er wirft mir einen tadelnden Blick zu –, »ich bin nicht dumm. In der Backstube standen Bleche aus unserer Küche, und die zusätzlichen Einnahmen sprechen Bände.«
Eine zarte Röte bedeckt meine Wangen. »Tut mir leid, dass ich dir diese Aktion verschwiegen habe, aber ich wusste nicht, wie ich es dir erklären sollte. Um unser Verhältnis ist es in letzter Zeit nicht gerade zum Besten bestellt gewesen«, kommt es piepsig über meine Lippen.
»Du bist meine Tochter, Miriam, komme, was wolle.«
Der Mund klappt auf, doch kein Ton dringt heraus. Mit großen Augen starre ich meinen Vater ehrfürchtig an. Eindeutig, jemand muss ihm heute Morgen was in den Kaffee geschüttet haben.
»Geht’s dir gut, Papa?«
»Ja, natürlich.« Er räuspert sich vernehmlich. »Wieso fragst du?«
»Na ja«, druckse ich herum und male mit meiner Schuhspitze Kreise auf den hellbraunen PVC-Boden. »Bis vor zehn Minuten war ich der festen Überzeugung, dass du wütend auf mich bist und nie wieder ein Wort mit mir reden wirst. Eben weil ich die Bäckerei nicht übernehmen will.«
Papa seufzt. »Ach, Miriam, ich hatte heute früh ein längeres Gespräch mit Alexander. Wir haben endlich
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