Zuckerguss (German Edition)
und Schuhen vollgestopft. Ich muss mehrfach blinzeln, um diese Fülle an Glitzerkram und wahr gewordenen rosa Alpträumen zu verdauen. Dass ich hier bin, hat meine Mutter einzig meinem guten Willen zu verdanken. Und der Tatsache, dass in unserem Haus komischerweise nicht eine einzige Flasche Rotwein aufzutreiben war.
Seufzend steuere ich die erstbeste Kleiderstange an und wühle mich durch ein gutes Dutzend Abendkleider, die in meinen Augen allesamt grausam aussehen. Entweder ist die Farbe zu auffällig, der Schnitt zu gewagt oder das Muster hat eine verblüffende Ähnlichkeit mit einer alten Tapete aus den Siebzigern. Ich nehme ein unscheinbar wirkendes Kleid von der Stange, hellgrau, mit allerhand Perlen am Ausschnitt und Spitzeneinsatz am Saum. Sieht aus wie ein Nachthemd. Hilfe!
»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, spricht mich eine Verkäuferin von der Seite an.
Ich hänge das Kleid zurück und schüttele den Kopf. »Nein, vielen Dank«, erwidere ich betont liebenswürdig. Aufdringliche Verkäufer sind echt eine Plage. Kaum betritt man einen Laden, stürzen sie sich wie die Hyänen auf einen. Dabei will man sich nur umsehen. Aber wenn man dann mal einen Verkäufer sucht, ist im Umkreis von drei Kilometern keiner zu finden.
Die Verkäuferin lässt sich nicht beirren. »Sie sehen aus, als ob Sie Hilfe bei Ihrer Entscheidungsfindung benötigten.«
Entscheidungsfindung ist gut. Erstens habe ich nicht ein einziges Kleid gefunden, das mir gefällt, und zweitens will ich mich gar nicht für eins dieser Kleidchen entscheiden, weil ich das verfluchte Teil nämlich nicht anziehen will. Ich hasse Kleider und Röcke! Darin sehe ich aus wie ein Klops.
»Was haben Sie sich denn vorgestellt?«
»Nichts Besonderes«, meine ich ausweichend. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, was sich meine Mutter unter einem hübschen und zugleich angemessenen Kleid vorstellt. Es ist ohnehin erschreckend, dass ich allein shoppen darf, wo ich doch keinen Geschmack besitze.
»Ich denke, da kann ich Ihnen weiterhelfen. Drehen Sie sich bitte –« Plötzlich stirbt ihr freundliches Reklamelächeln. »Miriam? Miriam Behrens?«
Ich nicke. »Kennen wir uns?«
Die dunkelblonde Verkäuferin schaut mich an, als ob sie soeben einem Geist begegnet wäre. »Miriam Behrens. Das habe ich mir gleich gedacht!«
Als sie mich verächtlich von oben bis unten mustert, macht es in meinem Gehirn klick . Cora Schneider. Na herrlich. Die Frau hat mir gerade noch gefehlt!
In der achten Klasse hat Cora mir meinen damaligen Freund Jo ausgespannt. Sie hatte null Interesse an ihm, sie wollte mir lediglich eins auswischen. Als ich jedoch nach einer Woche nicht auf das alberne Liebesgedöns der beiden ansprang, verlor Cora den Reiz an der Geschichte und schoss Jo wieder ab. Später posaunte sie herum, dass ich eine prüde Kuh wäre, die Jo nicht ranlassen wollte. Ein richtiges Goldstück.
»Cora, nein, was für ein Zufall. Wie geht’s? Was macht das Modeln?«, zwitschere ich tussihaft, bemüht, mein spöttisches Grinsen zu verbergen.
Mit der Topmodel-Karriere von Miss Ostseestrand 1999 scheint es tragischerweise nicht geklappt zu haben. Dabei war sich Cora so sicher, dass die Designer in Mailand, Paris und New York sich die Finger nach ihr lecken würden. Gegen eine Cora Schneider aus Wismar ist Gisele Bündchen schließlich ein Nobody.
»Was willst du hier?«, zischt sie, die Augen zu Schlitzen verengt.
Ich stemme die Hände in die Hüften und lehne mich herausfordernd nach vorne. »Wonach sieht es denn aus?«
»In deiner Größe haben wir nichts!«
Wie charmant. Neben dieser spindeldürren Bohnenstange komme ich mir ohnehin wie ein Walross vor. »Ach, weißt du, ich probiere das hier mal an«, sage ich betont gelangweilt und wedele ihr mit einem knallroten Kleid vor der Nase herum, das ich wahllos von der Kleiderstange gefischt habe. Im Nachhinein hätte ich mich vielleicht besser zurückgehalten, denn auf dem Kleiderbügel sieht das Teil praktisch nach nichts aus. Und diese Farbe. Wie eine Warnblinkleuchte. Immerhin hat es meine Größe. Na bitte. Ich halte es mir vor den Körper und betrachte mich im Spiegel. Ich sehe aus wie Po von den Teletubbies!
Cora guckt mich gehässig an. »Der Farbton steht dir überhaupt nicht«, kommentiert sie selbstzufrieden.
Jetzt probiere ich das Kleid aus Trotz an! Hocherhobenen Hauptes verschwinde ich in einer der beiden Ankleidekabinen.
Skeptisch betrachte ich mich anschließend im Spiegel. Mein Spiegelbild
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