Zuckerguss (German Edition)
schockiert mich regelrecht. Das Kleid sitzt ausgezeichnet. Absolut perfekt. Der leicht ausgestellte Schnitt schwingt bei jeder Bewegung um meine Knie, und der tiefe V-Ausschnitt mit dem dekorativen Knotendetail hat etwas richtiggehend Verführerisches. Ich trete eingeschüchtert aus der Umkleidekabine. Dass ich in diesem Stück Stoff so gut aussehe, habe ich nicht erwartet. Ganz im Gegenteil. Verzückt drehe ich mich um meine Achse und strahle Cora an, die mich missmutig betrachtet. Wahrscheinlich würde sie mich am liebsten hochkant aus dem Laden schmeißen.
»Gibt es dazu passende Schuhe?«, erkundige ich mich mit einem gekonnten Augenaufschlag. Ich genieße meinen Auftritt zusehends.
Cora überreicht mir schnaubend ein Paar schwarze Riemchensandaletten mit bestimmt sechs Zentimeter Absatz. Ich verschwende keinen Gedanken daran, woher sie meine Schuhgröße weiß, sondern überlege vielmehr, wie ich es schaffen soll, mir in diesen Schuhen nicht die Beine zu brechen.
Vorsichtig wanke ich auf den hohen Absätzen durch den Laden. Ein Besenstiel auf Skiern. Wie ich in diesen Sandaletten den Tag überleben soll, ist mir schleierhaft.
Ich betrachte mein komplett neues Outfit im Spiegel und muss ehrlich zugeben, dass ich toll aussehe. Wenn mich meine Mutter jetzt sähe, würde sie höchstwahrscheinlich in Freudentränen ausbrechen. Zum ersten Mal seit zwölf Jahren trage ich wieder ein Kleid. Plus Stöckelschuhe. Wunder gibt es immer wieder.
»Entscheidest du dich bald?«, knurrt Cora. Sie hat die Arme vor der Brust verschränkt und guckt mich finster an.
Immer mit der Ruhe. Das hier ist ein weitreichender Einschnitt in meine bisherige Kleidungsphilosophie. Ich muss das gute Stück schließlich heute halb Wismar präsentieren. In dieser Knallfarbe. Von den Monsterschuhen will ich gar nicht erst reden. Doch es gefällt mir. Und wenn ich es nicht nehme, steckt mich meine Mutter womöglich in eines ihrer alten Kleider. Wie ich dann in einem von diesen komisch bedruckten Fetzen aussehe, will ich mir lieber nicht vorstellen. Das gibt am Ende den Ausschlag.
»Ich nehme beides.« Ich strahle wie ein Christbaum.
Cora atmet erleichtert auf. Wahrscheinlich ist sie froh, mich loszuwerden. Mir geht es ähnlich. Auf ein Zusammentreffen mit meiner Lieblingsfeindin hätte ich wahrlich verzichten können.
Ich schlüpfe wieder in meine alten Klamotten und trabe gemächlich zur Kasse. Natürlich könnte ich die Sachen gleich anbehalten, aber ich will nicht halbtot auf der Party erscheinen, weil meine Füße in diesen Schuhen unterwegs bereits abgestorben sind.
»Du wirst dich in diesem Kleid auf der Feier lächerlich machen«, antwortet Cora selbstgefällig. Wie ich diese Sticheleien in all den Jahren vermisst habe.
Will ich wissen, woher sie von der Party weiß? Besser nicht. »Darüber brauchst du dir ja zum Glück nicht dein hübsches Köpfchen zu zerbrechen, oder, Cora?«, zwitschere ich und gebe ihr die Kreditkarte meiner Mutter. Immerhin muss ich für diese neuen Sachen nicht selber in die Tasche greifen. Das hätte mein Konto ohnehin ins hoffnungslose Minus befördert. »Wie kommt es überhaupt, dass du ebenfalls eingeladen bist?«, erkundige ich mich so beiläufig wie möglich, obwohl mich das brennend interessiert.
Cora lächelt boshaft. »Ich habe Connections. Sehr gute Connections.«
Ah, sie hat Connections. Wow. »Na, jetzt bin ich beeindruckt.« Da freue ich mich doch gleich doppelt auf die Geburtstagsparty. Tante Gloria, Luisa, Cora, mein nicht vorhandener Freund … Das verspricht Unterhaltung vom Allerfeinsten! Ich kann es kaum noch erwarten.
Grußlos drückt Cora mir die zwei Tüten in Hand.
»Also dann, auf Wiedersehen«, flöte ich.
»Darauf kannst du dich verlassen!« Aus Coras Augen schießen jeden Augenblick Blitze hervor. Wieso sie nach all den Jahren immer noch solch einen Hass auf mich hat, kapiere ich zwar nicht, muss ich aber auch nicht. Denn ich habe ihr nicht den Freund ausgespannt!
Na ja, auch egal, ich hab mich um wichtigere Dinge zu kümmern. Zum Beispiel, wie ich am besten diese Party überlebe.
6
Ich habe mich geirrt. Nicht halb Wismar befindet sich bei uns im Garten, sondern ganz Wismar. Sie glauben, ich scherze? Ja, schön wär’s.
Dicht an dicht drängen sich die Gäste auf dem Rasen, der vermutlich morgen nur noch ein kümmerliches Etwas aus plattgewalzten grünen Halmen und braun-gelben Stellen ist. Die aufgebauten Stühle sind allesamt besetzt. Der Rest der Gästeschar steht in
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