Zuckerguss (German Edition)
du es mir«, fordert Olli und krempelt die Ärmel seines Pullovers hoch. Er legt die Beine auf die Tischkante und macht es sich in seinem Stuhl bequem. »In jedem Fall sieht Schlussmachen – Verzeihung, auf Distanz gehen – anders aus.«
»Oliver Wegener, ich mag dich gerade nicht!«
Er grinst.
Kaum habe ich mich von Olli verabschiedet, da klingelt mein Handy. Eva ruft an, sagt das Display. Mühsam unterdrücke ich einen tiefen Seufzer. Ich habe im Augenblick so gar keine Lust, mich mit jemandem mit dem Namen Behrens zu unterhalten. Erst recht nicht mit meiner Schwester, der ich immer noch nachtrage, dass sie mich letzten Sonntag schamlos hintergangen hat.
Das Handy im hintersten Winkel meiner Tasche vergraben, steige ich in den Fahrstuhl nach unten. Nach gefühlten fünf Minuten schweigt das verdammte Teil endlich. Aufatmend verlasse ich das Bürogebäude, als aus meiner Tasche erneut Lady Gagas Love Game ertönt. Ein junger, pickliger Typ mit wasserstoffblonder Stachelfrisur grinst beim Vorbeigehen anzüglich. Peinlich berührt fische ich nach dem elenden Quälgeist.
»Was gibt es denn Wichtiges?«, frage ich unfreundlich und eine Spur zu laut.
»Hey, Schwesterherz.« Evas gute Laune schäumt wieder einmal über. »Was höre ich da von Mama, du bist noch in Wismar? Wie kommt das?«
»Na, was denkst du denn?«, erwidere ich zynisch. »Meine wunderbare große Schwester hat doch mit ihrer Bemerkung, dass mein Vorstellungsgespräch erst in zwei Wochen ist und ich folglich bis dahin nichts zu tun habe, erst dafür gesorgt, dass ich Wismar länger erhalten bleibe.«
»Mensch, bist du empfindlich«, meint Eva vorwurfsvoll. Ich kann mir bildlich vorstellen, wie sie dabei die Augen verdreht. »Ich hab’s schließlich nur gut gemeint.«
»Ja, genau. Ich weiß, was jetzt kommt. Stell dich nicht so an, genieß die freien Tage in der Heimat mit David. Sommer, Sonne, Strand und mehr. Blablabla. Alles ganz easy«, spotte ich voller Hohn, als ich Evas eigene Worte vom vergangenen Wochenende sinngemäß wiederhole. »Aber ich sag dir mal was, Alex redet kein Wort mit mir, da er der Ansicht ist, ich würde ihm den Job in der Bäckerei wegnehmen, Papa straft mich mit konsequenter Nichtbeachtung, weil ich eben nicht seine geschätzte Bäckerei übernehmen will – von einer Aussprache sind wir ungefähr so weit entfernt wie die Erde zum Jupiter –, und Mama hängt mir von früh bis spät mit David in den Ohren. Hast du ansatzweise eine Ahnung, wo mir das steht?« Ich habe mich dermaßen in Rage geredet, dass ich erschöpft nach Luft schnappe.
Schweigen am anderen Ende.
»Jedenfalls bist du nicht wie vor fünf Jahren sang- und klanglos abgehauen, als es schwierig wurde, das muss man dir zugutehalten. Du scheinst erwachsen geworden zu sein.«
Ich hüstele vernehmlich, froh, dass Eva nicht über die näheren Umstände meines Kennenlernens mit David Bescheid weiß. Sie würde ihre Meinung auf der Stelle revidieren.
»Darf ich mir jetzt ein Bienchen in mein Betragenheftchen malen, Frau Lehrerin?«
»Sei doch nicht immer so sarkastisch!«
»Ich werde das mit meinem Therapeuten durchsprechen.«
Eva seufzt tief. »Okay, okay, es tut mir leid«, gibt sie müde nach. »Aber sieh es positiv, du hast mehr Zeit für David, das ist bestimmt toll, oder?«
»Hm«, mache ich. Was kann ich mich doch glücklich schätzen, solch einen tollen Freund vorzuweisen, der sich derart in eine Fake-Beziehung reinhängt. Yippieyeah!
Augenblicklich muss ich an gestern Abend denken, als ich kurz davor stand, meine Prinzipien über Bord zu werfen und mich von diesem arroganten Machofotografen (aber soooo attraktiven Macho, seufz!) küssen zu lassen. Mir will nach wie vor nicht in den Kopf, warum David ausgerechnet mich küssen wollte. Die Vorstellung an sich ist schon verrückt. David und mich verbindet rein gar nichts. Außer eben einer Beziehung, die nur vor meinen Eltern existiert. Gut, und vor halb Wismar. Warum also wollte er mich küssen? Um mich zu beruhigen? Um unsere Beziehung glaubhafter zu verkaufen? Oder vielleicht, weil er mich ein klitzekleines bisschen mag? Ich verbanne diesen Gedanken sofort in die hinterste Schublade meines Gehirns.
Ich kann mir nicht helfen, aber die Vorstellung, dass David ernsthaftes Interesse an mir hat, also abgesehen von diesem gespielten Interesse, finde ich nach wie vor lächerlich. Zumal es dafür bis gestern auch überhaupt keine Anzeichen gab. Na gut, er hat sofort ja gesagt, als ich ihn gebeten
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