Zuckerguss (German Edition)
auf die Nerven geht. Erst gestern ist sie wieder mit Harmonieräucherstäbchen durchs gesamte Haus gerannt – bei dem Gestank wurde mir beinahe schlecht.
»Räumst du hier zu Ende auf und schließt danach vorne ab?«, fragt Alex und erhebt sich.
»Mach ich.«
»Danke, Schwesterherz. Du bist ein Schatz!« Er knufft mich in den Oberarm und verschwindet dann in die Backstube.
Wenn ich ehrlich bin, dann beneide ich Alex nicht. Bäcker ist ein Knochenjob, nachts um drei Uhr aufstehen und bis spätabends in der Backstube stehen, um für den nächsten Tag alles vorzubereiten. Freizeit ist absolute Mangelware. An Alex’ Stelle wäre ich längst vor Erschöpfung zusammengebrochen. Dass mein Bruder trotz allem immer noch mit solch einem Elan bei der Sache ist, ist bewundernswert.
Ächzend erhebe ich mich, um den Tresen zu Ende zu reinigen und dann den Laden abzuschließen. Nach nicht einmal fünf Stunden bin ich reif für die Biotonne, ich bin das harte Arbeiten in der Bäckerei echt nicht mehr gewohnt. Mit Sicherheit werden mir morgen alle zweihundertsechs Knochen weh tun.
Ich schrubbe gerade hingebungsvoll an einem Fettfleck herum, als die Ladenglocke ertönt. »Wir haben bereits geschlossen«, antworte ich, ohne von meiner Arbeit aufzuschauen.
»Das ist aber schade, Behrens.«
19
»Lissy?«
Im Zeitlupentempo drehe ich mich um. Der Schwamm rutscht mir aus der Hand und klatscht neben dem Eimer auf den Boden. Ungläubig presse ich mir beim Anblick meiner alten Freundin die Finger auf den Mund, um den Urschrei in meiner Kehle zu unterdrücken. Es dauert eine weitere Minute, in der wir uns anstarren – das heißt, ich starre, Lissy guckt höchst amüsiert –, dann liegen wir uns in den Armen und jauchzen und springen wie zwei übermütige Teenager.
»Meine Güte, was tust du hier?«, platze ich heraus, immer noch fassungslos, dass Lissy tatsächlich vor mir steht. Mit allem hätte ich gerechnet, aber nicht damit.
»Das Gleiche könnte ich dich fragen!«, erwidert Lissy sichtlich vergnügt. »Ich dachte wirklich, Olli will mich auf den Arm nehmen, als er mir erzählte, dass du in Wismar bist.«
»Das kann ich mir denken«, kichere ich. »Olli ist fast aus seinem Stuhl gefallen, als ich vor ihm stand.«
Lissy stimmt in mein Kichern mit ein. »Wie lange bist du denn schon hier? Olli, dieser gemeine Hund, hat nicht einen Piep gesagt, als wir neulich miteinander telefoniert haben. Ich wäre sonst viel früher gekommen.«
»Quatsch!«, winke ich lapidar ab. »Du wolltest Zeit mit deiner Schwester verbringen, ehe das Baby kommt, das ist tausendmal wichtiger, als Empfangskomitee für mich zu spielen. Außerdem hat Olli den Job auch ohne dich hervorragend gemanagt.«
»Aber –«
»Kein Aber«, unterbreche ich Lissy brüsk. »Erzähl mir lieber, was du die letzten Jahre gemacht hast. Gibt es eigentlich noch einen Flecken auf der Welt, wo du nicht warst?«
»Hunderte«, grinst Lissy verschmitzt. Sie setzt sich auf einen Hocker und schlägt ihre Beine übereinander. »Aber die nächste Weltreise muss warten – mir fehlt leider das nötige Kleingeld.« Ein tiefer Seufzer. »Ich werde also brav meine Ausbildung zur Bankkauffrau beenden, tja, und dann schauen wir mal.«
»Du machst eine Ausbildung?« Wow. Ich mustere Lissy mit großen Augen.
»Ja, ich fange demnächst mein zweites Lehrjahr an«, sagt Lissy mit unverkennbarem Stolz in der Stimme. »Es macht Spaß, ich hätte das selbst nie für möglich gehalten. Deprimierend ist lediglich die Berufsschule.«
»Wieso?«
»Ich bin dort die Oma.« Sie lacht. »Zumindest kommt es mir so vor.«
Ich pruste los. »Sieh es positiv, Omas werden von ihren Enkelkindern abgöttisch geliebt.«
Lissy setzt ihr Unschuldslächeln auf.
»Du hast dich überhaupt nicht verändert«, meine ich kopfschüttelnd. Schon zu Schulzeiten hat Lissy gewusst, wie sie den Jungen den Kopf verdrehen muss, um ihren Willen zu bekommen. Mit ihrem Puppengesicht, den riesigen braunen Augen und der zierlichen Figur erweckt sie auch heute noch in jedem Mann den Beschützerinstinkt. Ein Engelslächeln von Lissy bringt Eisberge zum Schmelzen.
»Und du? Was führt dich wieder nach Wismar? Hast du Heimweh bekommen?«
»Nicht direkt«, erwidere ich mit verzerrtem Gesichtsausdruck. Lissy guckt mich erwartungsvoll an. Seufzend berichte ich, wie meine schlitzohrige Schwester mich für den Geburtstag meiner Mutter nach Wismar gelockt hat.
»Und wieso bist du noch hier?«, will Lissy neugierig wissen und
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