Zuckerguss und Liebeslieder Roman
Sterne, Rosen und Girlanden aus Buttercreme zu fabrizieren. Stephen behauptet, angesichts unserer knappen Personalsituation und der Tatsache, dass wir auf feindlichem Territorium operieren, bliebe uns nur die Guerillataktik mit Blitzangriffen.
Im Augenblick halten wir eine geheimdienstliche Besprechung ab.
»Wir müssen davon ausgehen, dass die Hauswirtschaftslehrerin,
sollte es unentschieden stehen, für Heidi stimmt«, sagt Stephen und klopft mit seinem Druckbleistift auf den Küchentisch. »Bleibt noch der Bürgermeister.«
»Ich gehe heute ins Diner und versuche an ein paar Informationen zu kommen …«, sage ich.
»… während ich weiter an den Entwürfen arbeite«, setzt Stephen meinen Satz fort. »Sieh dich vor da draußen, Alice. Wände haben Ohren!« Er deutet durchs Fenster zu Wyatts Haus.
Ich muss zugeben, dass wir ein eindrucksvolles Team abgeben. Und dass Stephen mit seiner Warnung vor Wyatt recht hat. Er würde Heidi unsere Pläne nicht mit Vorbedacht verraten, das nicht. Aber es könnte ihm ja unabsichtlich etwas herausrutschen. Aus diesem Grund haben wir uns verschiedene Gegenspionagetaktiken angeeignet, die wir Stephens Lieblingsschriftsteller verdanken: Andy McNab, dem berühmten, verdeckt arbeitenden Agenten der Speziallufteinheit SAS, der später zum Bestsellerautor mutiert ist. Die alles entscheidenden Entwurfsunterlagen befinden sich in einer Mappe mit der listigen Aufschrift »Stephens Flugticket«, und die Cupcakes backen wir erst heute Abend im Schutz der Dunkelheit. Natürlich haben wir auch ein Codewort - Operation Martha.
Stephen fährt mit dem Finger über das Din-A-4-Blatt mit den Wettbewerbsregeln und seufzt. »Sehr schlampig formuliert, aber zum Glück kommt uns das zugute.« Er zitiert: »Der erste Preis wird derjenigen Teilnehmerin verliehen, die nach Ansicht der Jury die beste Auswahl an selbstgebackenen glasierten Cupcakes eingereicht hat. Die Mindestanzahl der einzureichenden Gebäckstücke beträgt sechs.«
Wohlgemerkt, er liest das nicht vor, nein, er sagt es auf,
weil er mittlerweile sämtliche Regeln auswendig kennt. »Hier steht nirgendwo, dass die Cupcakes von der Teilnehmerin selbst gebacken sein müssen«, sagt er kopfschüttelnd. »Ein elementarer Fehler, der es mir jedoch erlaubt, dir behilflich zu sein, ohne fürchten zu müssen, dafür haftbar gemacht zu werden.« Er lehnt sich zurück. »Bewertet werden sowohl Geschmack als auch Gestaltung und Verzierung.« Ein weiteres Zitat. Er schüttelt wieder den Kopf. »Aber in welchem Verhältnis zueinander? Zehn Prozent Geschmack, neunzig Prozent Gestaltung? Oder umgekehrt? Skandalös, dass die Bewertungskriterien nicht schriftlich festgehalten sind. Die unterlegenen Teilnehmerinnen könnten das Oberste Gericht von Ohio anrufen, mit der Begründung, dass die Regeln nicht hinreichend deutlich formuliert sind.«
Bei dem Wort »unterlegen« wird mir flau im Magen.
Stephen seufzt. »Es ist zwingend erforderlich, dass wir heute Abend alle sechs Cupcake-Rezepte ausprobieren. Wenn wir um acht Uhr anfangen, sollten wir um vier Uhr morgens fertig sein. Ich sage nicht, dass es ein Kinderspiel wird, Alice. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt.«
Was Andy McNab, der erfolgreiche Schriftsteller und vormalige Kampfpilot, wohl sagen würde, wenn er uns jetzt so sehen könnte?
Beim Anblick von Stephen, der nun Lineal und roten Stift zur Hand nimmt und das Kästchen »8 bis 9« für Mittwoch auf dem Planer durchstreicht, durchzuckt mich zum ersten Mal seit seiner Ankunft etwas wie Zuneigung zu ihm. Er hat sich mit wahrer Begeisterung in dieses Unternehmen gestürzt und dabei bisher schon mit einigen tief sitzenden, persönlichen Ängsten zu kämpfen gehabt. Die Strecke zu Cake Universe und zurück bin ich gefahren. Aber er
hat unterwegs mehrmals tief Luft geholt und immerhin den Haltegriff über der Tür losgelassen.
Stephen legt den Stift hin und sieht mit einem Mal verändert aus. So seltsam es klingt, sein Gesichtsausdruck lässt sich am besten als eine Kombination aus Erleichterung und körperlichem Unwohlsein beschreiben und ist mir von unseren bisherigen gemeinsamen Reisen wohlbekannt.
Wichtig ist vor allem, ihn in dieser entscheidenden Phase bei Laune zu halten. Ich werfe ihm einen aufmunternden Blick zu. »Wie stehen die Chancen?«
Er antwortet mit Verzögerung. »Ich bin vorsichtig optimistisch.«
Alles klar. Ich schnappe mir meinen BlackBerry und stehe auf. »Dann räume ich mal das Feld.«
Hier zählt jede Minute.
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