Zuckerguss und Liebeslieder Roman
Ich sollte an dieser Stelle wohl erklären, dass Stephen seit jeher unter einem Reizdarmsyndrom leidet und die Überquerung des Atlantiks verheerende Auswirkungen auf seine unabdingbare Morgenroutine gehabt hat, die zu Hause so abläuft, dass er sich um sieben Uhr früh mit der neuesten Ausgabe des Spectator ins Bad zurückzieht. Was für ein Segen, dass es in den USA Actimel zu kaufen gibt. Und Kleiemüsli, aber davon hat Stephen selbst eine Packung mitgebracht.
Wie der Blitz stopfe ich meinen BlackBerry in die Handtasche und bin auch schon bei der Tür. Das Haus darf ich mindestens zwanzig Minuten lang nicht wieder betreten. Wenn Stephen unterbrochen wird oder ihn etwas nervös macht, stehen ihm am Ende weitere unerquickliche Tage bevor.
»Wünsch mir Glück!«, ruft er mir nach, als ich die Tür öffne.
Es kommt mir vor, als wären wir nie getrennt gewesen.
34. KAPITEL
Ich mache es mir auf Mary Lous Heuballen gemütlich und nehme mir Carolyns Rohentwurf für meinen nächsten Vortrag als Babyflüsterin vor. Thema: »Töpfchen-Training ohne Tränen.« Wyatts Pick-up steht nicht im Hof, und nicht zum ersten Mal seit Sonntag frage ich mich, ob er mir aus dem Weg geht. Seit diesem schicksalhaften Tag mit Stephens Kniefall und Heiratsantrag haben wir nicht mehr miteinander gesprochen. Vermutlich betrachtet er unseren Fast-Kuss im Nachhinein als Verirrung - ein letzter kleiner Flirt, bevor er mit Heidi, der Frau seiner Träume, einen Hausstand gründet - und ist erleichtert, dass er so glücklich davongekommen ist. Wenn ich darüber nachdenke, was ich in letzter Zeit häufig getan habe, stellt sich mir sogar die Frage, ob wir uns wirklich beinahe geküsst hätten oder das Ganze nur ein Hirngespinst von mir ist.
Ich zwinge mich zurück zu Carolyns Vortragsnotizen. Beim dritten Abschnitt - Die Debatte über Trainingsunterhosen - erreicht mich ein Anruf. Es ist Bob. Endlich. Mit Simon Cowells Telefonnummer!
»Hallo!«, brüllt Bob, obwohl es sich für mich anhört, als stünde er gleich nebenan. »Kannst du mich hören? Ende und aus.«
Ich antworte mit meinem Standardsatz. »Laut und deutlich, Bob.«
»Gut.« Er klingt ungewöhnlich fröhlich. »Wollte nur mal nachhören, was die Turteltäubchen so treiben!«
»Die Turteltäubchen?«
»Ich hab mir gedacht, ich lass euch ein paar Tage Zeit zur, ähm, sagen wir, ›Wiederannäherung‹.«
»Meinst du mich und Stephen?«
»Haargenau richtig.«
»Woher weißt du, dass er hier ist?«
Bob schlägt einen äußerst irritierenden, geheimnisvollen Ton an. »Sagen wir einfach, ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, es zu wissen.«
Mich überkommt eine schreckliche Ahnung. »Bob«, sage ich misstrauisch, »hast du wieder meine E-Mails gelesen?«
»Es ist mein Job, die E-Mails im Netzwerk zu überprüfen, Alice. Aber es schien mir ein geeigneter Moment zu sein, um Cupido zu spielen.«
Endlich ergibt das alles einen Sinn. Wie in einem von Bobs Thrillern fügt sich ein fehlendes Puzzleteil mit dumpfem Klacken ein.
»Bob, hast du Stephens E-Mails an mich gelöscht? Die, in denen stand, dass er nach Barnsley kommen will?«
»Nein. Ich habe sie blockiert. Sie sind noch im System. Ich habe sie lediglich aufgehalten. Weil ich wusste, dass du ihm sonst verbieten würdest zu kommen.«
Ich schäume vor Wut. »Er hatte eine Affäre«, fauche ich. »Ich hatte alles Recht der Welt, ihm das zu verbieten.«
»Er hat das Unaussprechliche ja nicht getan«, sagt Bob geringschätzig. »Er hatte eine zweite Chance verdient. Du hast ihn zurückgelassen, um deinen Karriereträumen nachzujagen, Alice. Zara war ein Unfall, der sich praktisch nicht vermeiden ließ.«
»Ein Unfall?! Er ist ja wohl nicht gestolpert und auf ihr gelandet.«
»In seinen E-Mails klang es, als würde es ihm sehr leidtun.«
»Und woher soll ich das wissen?«, schnauze ich. »Ich
hatte ja keine Gelegenheit, sie zu lesen. Warum denken Männer eigentlich immer, dass alles wieder okay ist, wenn sie ›Tut mir leid‹ sagen?«
»Alice, Alice«, seufzt Bob. »Männer sind nun mal Jäger. Das Umherstreifen liegt ihnen im Blut. Denk an James Bond. Seine Frauengeschichten haben ihn nicht davon abgehalten, bei zahllosen Gelegenheiten die Königin und das Land zu retten.«
»James Bond ist ein fiktiver Held«, sage ich aufgebracht, »und er hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit Stephen. Du hattest kein Recht dazu, seine E-Mails an mich zu lesen, und ich verbiete es dir hiermit ein für alle Mal.« Ich bin drauf und
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