Zuckerguss und Liebeslieder Roman
wieder nach Hause schicken. Dazu wäre er auch schlicht nicht in der Verfassung: Der Kopilot hat ihm eine gehörige Standpauke gehalten und erklärt, dass er den Weg zum Notausgang blockiere und damit gegen internationale Luftfahrtvorschriften verstoße.
»Du musst aber auf dem Sofa schlafen«, sage ich seufzend.
»Ganz wie du willst!« Er fängt an auszupacken, entnimmt seinem Kulturbeutel eine Packung Tabletten zur Sterilisierung von Wasser und trägt sie in die Küche. »Man kann nie vorsichtig genug sein«, ruft er von dort. »Ich habe
auch Germolene mitgenommen. Ich war mir nicht sicher, wie es in Amerika um die Qualität von antiseptischen Salben steht.« Er kommt zurück und kramt in seinem Rucksack. »Ich glaube, ich mache noch ein kleines Nickerchen«, sagt er und holt seine Schlafgrundausrüstung heraus: wächserne Ohrstöpsel und eine Packung Nasenpflaster gegen Schnarchen und verstopfte Atemwege. »Hier gibt es vermutlich keine Verdunkelungsvorhänge«, sagte er. »Deshalb habe ich vorsichtshalber die Schlafmaske aus dem Flugzeug mitgehen lassen.«
Er legt sie an und probiert mit dem Gummiband verschiedene Positionen aus - unter den Ohren, über den Ohren und um sie herum. Ein Glück, dass uns jetzt niemand sehen kann.
Da geht die Tür auf. »Hiiiii!«
Noch nie habe ich Heidi so vergnügt gesehen. Sie kommt ins Wohnzimmer gehüpft und strahlt uns an. Blendend sieht sie aus mit ihrer Reithose und den schwarzledernen Reitstiefeln; dazu trägt sie eine ziemlich knappe weiße Bluse, die so weit aufgeknöpft ist, dass man ein wenig von ihrem weißen Spitzen-BH sehen kann. Ich schaue von Heidi zu Stephen, der umständlich seine Ohren von der Schlafmaske befreit.
»Sie müssen Stephen sein.« Sie heißt ihn willkommen, als sei er ein Geschenk des Himmels. »Wyatt hat mir erzählt, dass Alices Freund zu Besuch gekommen ist. Was für eine fabelhafte Überraschung!«
Obwohl, wenn ich es mir genau überlege, ist er für sie wohl tatsächlich ein Geschenk des Himmels.
Stephen glotzt sie an, offenbar noch unentschlossen, was er mehr bewundern soll, ihren Busen oder ihre Zähne. Er faltet die Schlafmaske sorgsam in der Mitte und hält Heidi die Hand hin. »Freut mich, Sie kennenzulernen.«
Heidi greift zu. »Fantastisch, Sie endlich kennenzulernen!«, sülzt sie. »Alice spricht in einem fort von Ihnen.«
Tue ich nicht. Ich habe ihn seit Wochen nicht mehr erwähnt, und da auch nur beiläufig.
»Es ist ja ganz offensichtlich, dass sie sich vor Sehnsucht nach Ihnen verzehrt«, schwadroniert Heidi weiter. »Darum wirkt sie auch immer so deprimiert.«
Stephen dreht sich zu mir um und guckt erfreut. »Vor Sehnsucht verzehrt?«
»Alice hat sich hier wirklich tapfer bemüht«, sagt Heidi, »aber für mich ist es sonnenklar, dass sie zurück nach England gehört, an Ihre Seite.«
»Wirklich?«, fragt Stephen, setzt sich und legt den Arm um mich. Ich bleibe bolzengerade sitzen.
Heidi nickt heftig. »Wir Frauen erkennen die Anzeichen, wenn eine Frau ihren Seelengefährten vermisst. Nachdem Sie nun hier sind, wird Alice sich wohl ein bisschen mehr um ihr Aussehen kümmern, nehme ich an.« Sie mustert mich von Kopf bis Fuß. »Nehmen Sie sie gleich mit zurück?«, fragt sie Stephen hoffnungsvoll.
Jetzt reicht es. Ich löse mich von Stephens Arm. »Nein, das tut er nicht. Ich habe hier eine Menge wichtige Arbeit zu erledigen. Mein Vertrag läuft noch lange.«
»Vier Wochen, oder?«, fragt Heidi. »Nicht dass irgendwer mitzählt«, fügt sie mit einem falschen Lachen an. »Aber Sie sind Ende März mit einem Sechsmonatsvisum gekommen, was nach meiner Rechnung heißt, dass Ihnen hier noch grob geschätzt siebenundzwanzig Tage bleiben, bis aus Ihnen eine illegale Einwanderin wird und Ihnen die Abschiebung durch die Bundesbehörden droht.« Sie lässt wieder ein leises Lachen hören. »Sofern jemand ihnen einen Wink gibt, dass Sie hier sind.«
»Schon gut«, sagt Stephen beruhigend. »Nicht mehr lange, und du bist wieder im sicheren Hafen von Southfields.«
Na prima.
»Keine Sorge, Alice«, sagt Heidi herzlich. »Wir werden Sie nicht vergessen. Wyatt und ich werden in den kalten Wintermonaten sicher oft am Feuer sitzen und uns gern an Ihre Zeit hier erinnern.« Sie sieht auf ihre Armbanduhr. »Jetzt aber nichts wie los. Ich darf Wyatt nicht warten lassen. Wir gehen essen«, teilt sie mir mit triumphierender Miene mit. Dann lässt sie Stephen ihr Zahnpastareklamelächeln sehen. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie
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