Zuckerguss und Liebeslieder Roman
Cupcake-Wettbewerb krankzumelden, ist wohl der übelste aller schmutzigen Tricks. Damit ist einer unserer wichtigsten taktischen Vorteile zunichtegemacht, die Stephen in unserer »Wichtigste Taktische Vorteile«-Liste zusammengestellt hat - der Zeitfaktor.
Madison dreht sich zu mir um. Wir sind bei der letzten Übungssession in ihrem Wohnwagen, bevor morgen Abend in der Turnhalle der Highschool Barnsley sucht den Superstar über die Bühne geht.
»Die Sache ist die, Alice«, sagt Madison, ohne mich anzusehen. »Ich möchte einen anderen Song singen.«
»Aber wir haben doch jetzt wochenlang ›Hit Me Baby One More Time‹ eingeübt«, sage ich verwundert. Und muss an dieser Stelle ehrlicherweise eingestehen, dass ich froh und glücklich wäre, wenn ich diesen Song nie wieder zu hören bekäme. Das ist, so fürchte ich, auch die Ansicht der Bewohner des Trailerparks Barnsley Glade, die an all unseren Höhen und Tiefen, Hoffnungen und Tränen lebhaft Anteil genommen haben, da die Klimaanlage vor einem Monat den Geist aufgegeben hat und wir seither nur proben können, wenn Tür und sämtliche Fenster sperrangelweit offen stehen.
Madison macht eine trotzige Schnute. »Ich will lieber ›I Will Always Love You‹ von Whitney Houston singen. Das kommt ein bisschen plötzlich, ich weiß. Aber ich muss mich da ganz auf mein Gefühl verlassen.«
Das trifft mich reichlich unerwartet. Mit »Hit Me Baby One More Time« haben wir mittlerweile ein Stadium erreicht, das Wyatt als »nicht schlecht« bezeichnet hat. Aber
ob Madisons Stimme für eine Power-Ballade von Whitney ausreicht?
»Warum um alles in der Welt willst du auf einmal einen anderen Song?«, frage ich.
Madison blinzelt. »Ich muss meiner eigenen Vision folgen.« Sie schluckt. »Egal was du darüber denkst, Alice.«
Bin ich als ihre Managerin gefeuert?
»Aber du hast den Song perfekt drauf«, wende ich ein.
»Ich weiß.« Madison schaut durchs Fenster auf den benachbarten Wohnwagen mit seiner abblätternden Lackschicht. »Aber ich muss auf mein Herz hören.«
Ich habe den starken Verdacht, dass da noch mehr dahintersteckt. »Was sagt Logan denn dazu?«
Sie bricht in Tränen aus. »Ich bin mir sicher, dass er sich mit Brittany trifft. Oma Dolores hat sie zusammen beim Bowling gesehen.«
»Das heißt doch noch gar nichts.«
»Sie durfte seine Bowlingkugel nehmen! Das durfte ich noch nie.« Sie schluchzt zum Gotterbarmen. »Ich muss ihn zurückhaben, Alice.«
Ich bin in Versuchung zu fragen, wieso. Aber das ist wohl kaum der geeignete Zeitpunkt für tiefschürfende Gefühlsdebatten. »Das heißt, du willst das für ihn singen?«, frage ich so unbeteiligt wie möglich.
»Ja! Ich habe es auch schon geübt.« Sie putzt sich die Nase, startet die CD und fängt an zu singen. Und dann kommt der Refrain mit der ersten Silbe, die sich ungefähr zehn Sekunden hinzieht. Madison zieht das »I« so lang wie einen Kaugummi zwischen hier und Zentralafrika. Am Schluss die gleiche Prozedur: »You-uhuuhu-huu-uhuu-uuu.« Weiter und weiter, bis zum Erbrechen.
Nicht dass wir uns falsch verstehen, Madison hat eine
gute Stimme, doch wie Simon Cowell in solchen Fällen zu sagen pflegt: »Madison, du bist ein ganz, ganz süßes Mädel, aber der Song ist eine Nummer zu groß für dich.«
Vor meinem geistigen Auge sehe ich Madison auf der Bühne von Barnsley sucht den Superstar , ausgebuht und vor einem Hagel von Kräuterlimonadeflaschen Schutz suchend.
»Madison«, sage ich zaghaft. »Es ist ein bisschen spät, um noch auf einen anderen Song umzusatteln -«
»Und ich will auch noch was Eigenes singen«, sagt sie schmollend, ohne mich zu beachten. »Alle großen Künstler schreiben ihre eigenen Songs.«
»Das weiß ich.« Mir dämmert, was der Manager der Spice Girls wohl alles mitgemacht haben muss.
Sie fördert ein liniertes Din-A-4-Blatt mit vielen Zeilen in großer, schnörkeliger Schrift und jeder Menge Herzen, Pfeile und Bowlingkugeln als Randverzierung zutage.
Und fängt an zu singen.
Shattered dreams
Faded hopes
I gave my heart
Now it’s broke.
Sie klingt wie Dido auf Valium.
Vale of tears
Vale of tears
Vaaaaale of Teeeears.
»Okay«, rufe ich vernehmlich.
»Aber es geht doch noch weiter«, sagt Madison verschnupft.
»Ich glaube, wir brauchen Wyatts Rat.«
Zehn Minuten später ist er mit seinem Pick-up zur Stelle.
»Alice will, dass ich meinen künstlerischen Idealen untreu werde«, überfällt Madison ihn, kaum dass er im Wohnwagen ist. Ich sitze
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