Zuckerguss und Liebeslieder Roman
Victoria-Biskuittorte zu. Hoffentlich geht der Teig auch ordentlich auf. Bisher hatte ich damit immer so meine Schwierigkeiten. Darum schlage ich nun die Butter und den Zucker wie ein Weltmeister, damit die Mischung luftiger wird. Da zweifellos irgendwann im Lauf des Nachmittags Heidi auftauchen wird, betrachte ich es als
meine patriotische Pflicht, die britische Koch- und Backkunst ins bestmögliche Licht zu rücken.
Ich schlecke mir die Finger ab, was okay ist, weil ich in den vergangenen drei Monaten abgenommen habe, dank der Stallarbeit mit Casey und dem Fitnesstraining mit Gerry. Wir gehen drei Mal pro Woche hin und teilen uns Lauren, seine Privattrainerin, einen Rotschopf mit muskulösen Oberarmen. Gerry ist erst seit ein paar Wochen wieder dabei - Bruce lag mit seiner Vermutung ganz richtig, der Zeh war tatsächlich gebrochen. Als ich das erste Mal dort aufkreuzte, wirkte Lauren nicht sonderlich erfreut. Danach fasste ich Gerry vor dem Fitnesscenter scharf ins Auge und fragte eindringlich: »Gerry, läuft da irgendetwas zwischen dir und Lauren?«
Er schenkte mir einen gekränkten Unschuldsblick. »Aber nein, Alice. Denkst du etwa, ich würde dich belügen?«
Jedenfalls gibt es an Laurens beruflichen Fähigkeiten nichts auszusetzen. Sie lässt mich doppelt so sehr schwitzen wie Gerry, mit dem Erfolg, dass ich merklich schlanker und gestählter werde.
Ich gebe das gesiebte Mehl zu der Butter-Zucker-Masse und fühle mich mit einem Mal rundum wohl. Die Sonne scheint, ich spüre eine warme Brise im Gesicht und schnuppere den Duft von Wiesengras. Komisch, aber in Wyatts Haus bin ich immer glücklich und zufrieden, im Einklang mit der Welt. Allmählich verstehe ich, was Dr. Vaizey meinte, als er zu uns sagte, was immer im Leben geschieht, alles werde sich zum Besten wenden.
Mit einem heiteren Lächeln auf den Lippen rühre ich die Zutaten unter, exakt so, wie Carolyn es mir aufgeschrieben hat. Und gebe der Versuchung nach, mir Heidis Miene
vorzustellen, wenn Wyatt sich über meine Victoria-Biskuittorte hermacht.
»Hmmm, Alice«, sagt er verzückt, »das ist die beste Torte, die ich je gegessen habe!«
25. KAPITEL
Eine Stunde später, und meine Stimmung ist noch tiefer im Keller als mein Kuchen. Wie kann das bloß sein? Der Kuchen ist absolut, definitiv nicht so, wie er sein sollte. Was da die beiden Formen »füllt«, gleicht jeweils einem Pfannkuchen, der an der dicksten Stelle vielleicht gerade mal knapp einen Fingerbreit hoch ist, und das ist noch optimistisch geschätzt. Ich bin der Verzweiflung nahe. Nein, ich bin verzweifelt.
Ich glaube, ich habe das Backpulver vergessen.
Wen soll ich um Hilfe bitten? Wyatt kann nur warmes Frühstück zubereiten. Rachel hat mir gestanden, dass sie für ihre Brownies immer eine Fertigmischung von Betty Crocker nimmt. Und Bruce, der Profikoch, wird sagen, dass mein Teig nicht ohne Grund beim Backen sitzen geblieben ist.
In England wäre das alles halb so wild. Dort sähe mein Kuchen ganz normal aus. Aber hier in den USA haben die meisten Torten drei oder gar vier Schichten, jeweils mit Füllung dazwischen und Glasur rundherum. Die reinsten Wolkenkratzer. Wie sollen wir da mithalten?
Ich muss weiter positiv denken. Also hole ich tief Luft und stelle mir die Frage: »Was würde Dr. Vaizey in dieser Situation tun?« Ich schließe die Augen. Er sitzt in seinem braunen Ledersessel und schenkt mir ein warmes Lächeln
mit, wie ich finde, mehr als nur einem Hauch von Zuneigung. »Alice«, sagt er ruhig, »Sie haben Ihr Pulver noch nicht verschossen - Ihr Backpulver! Schneiden Sie beide Tortenböden in der Mitte durch und schichten Sie sie mit viel Buttercreme übereinander zu einer halben Vierlagentorte. Denken Sie sich irgendwas dazu aus, was mit der anderen Hälfte passiert ist. Lieber lügen als sich von dieser blöden Kuh Heidi lächerlich machen lassen.«
Ich öffne die Augen wieder. Wow! Dr. Vaizey hat sich in den drei Monaten, die ich nun schon in Ohio bin, gewaltig verändert. Er ist sehr viel entspannter und lebensklüger geworden. Ich greife zum Messer.
Zwei Stunden später steht eine wahrhaft imposante halbe Torte vor mir, eben hoch genug, um als amerikanisches Backwerk durchzugehen, obwohl mir für die Glasur des Deckels die Buttercreme ausgegangen ist. Macht nichts, ich bestreue ihn einfach mit Zucker. Außerdem schaffe ich es jetzt nicht mehr, die Scones zu backen, und die Gurkensandwichs sind nicht ganz so proper, wie sie sein sollten. Fürs Umziehen,
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