Zuckerguss und Liebeslieder Roman
Gerrys kleinem Ausrutscher auf schlüpfrigem Untergrund erzählt hat.
Ja, alles ist bestens; allmählich werde ich entspannter und habe Spaß an der Feier.
Dann tritt Heidi auf den Plan.
Sie trägt ein ärmelloses weißes Sommerkleid, das ihre sonnengebräunte Haut zur Geltung bringt, hochhackige Riemchensandalen, aus denen ihre Füße nicht links und rechts herausquellen, und eine lässig ins Haar geschobene Sonnenbrille von Ralph Lauren. Klar, sie hat ja auch den ganzen Tag Zeit gehabt, um sich schön zu machen, wo jetzt Schulferien sind. Sie kommt in die Küche geklackert, ruft zur allgemeinen Kenntnisnahme laut »Hiiiii« - und sieht mich. Einen Augenblick bleibt sie stocksteif stehen. Ich beäuge den riesigen runden Tupperbehälter in ihren Händen, und sie starrt auf meine Schürze.
Ihre Lippen kräuseln sich.
»Die Schürze kommt mir bekannt vor, Alice. Wieso bloß? Ach, das ist ja meine.« Sie geht auf mich zu. Die anderen sind durch Casey abgelenkt, der eben das Geschenk von Bruce auspackt - ein Pflegeset für Mary Lou. Das nutzt
Heidi und zischt mir zu: »Die Schürze einer anderen Frau zu tragen. Gibt es denn gar nichts, wozu ihr Briten euch nicht erniedrigt?«
Bevor ich antworten kann, kommt Casey mit einer Striegelbürste in der Hand zu mir geflitzt. »Schauen Sie mal, Alice. Genau so was habe ich mir schon immer gewünscht.«
Mit einem eingefrorenen Lächeln auf den Lippen geht Heidi zum Küchentisch, schiebt verächtlich meinen Victoria-Biskuitkuchen beiseite und enthüllt mit großer Geste die riesigste Torte, die ich je gesehen habe.
»Eine Devil’s Food-Torte mit drei Schichten Schokolade und Schlagsahne und weißer Schokolade-Buttercreme-Glasur«, sagt sie obenhin. »Hoffentlich magst du sie, Casey. Die Idee ist mir erst in letzter Minute gekommen.« Sie schaut auf meinen Kuchen. »Zum Glück.«
Oben ziert die Torte Caseys Name in Zuckerguss, neben einer Marzipankuh auf einer Weide aus Schokosplittergras. Casey ist wie der Blitz beim Küchentisch, flankiert von Connor und Jackson, und alle drei starren mit weit aufgerissenen Augen und hungrigem Blick Heidis Torte an.
»Kann ich was davon haben?«, fragt Casey.
»Kann ich auch was davon haben?«, fragen Connor und Jackson.
»Erst ein bisschen Pastete mit Ziegenkäse und Spinat«, sagt Wyatt rasch.
Heidi dreht sich um und kommt langsam wieder auf mich zu, wie ein Hai, der sich einem Kabeljau nähert. Sie deutet zum Tisch. »Das ist also Ihr kleiner britischer Kuchen, Alice.« Sie lächelt geziert. »Wie charmant. Sie haben ihn oben ja gar nicht glasiert. Was für eine nette, schlichte Note!« Dann runzelt sie melodramatisch die Stirn. »Wo ist denn die andere Hälfte?«
»Ich glaube, Alice hat schon ein bisschen was probiert, bevor wir gekommen sind«, sagt Dolores zuvorkommend.
Wyatt und Bruce tauschen einen Blick. »Sie haben einen halben Kuchen gegessen, Alice?«, fragt Bruce irritiert.
»Nein!« Ich spüre, wie ich rot werde. Ich muss eine Erklärung liefern - und zwar schleunigst, bevor Bruce bei mir eine Essstörung diagnostiziert.
»Es ist eine britische Tradition«, sage ich. Hoffentlich stellt niemand weitere Fragen dazu.
»Woher kommt diese Tradition, Alice?«, fragt Heidi.
»Die ist schon uralt«, sage ich. »Wie geht’s mit dem Knie, Dolores?«
Dolores guckt etwas überrascht, vermutlich weil sie mir bei unserer gestrigen Putzaktion alles Wissenswerte über ihr Knie mitgeteilt hat.
»Du siehst schon wieder viel besser aus, Dolores«, sagt Heidi munter. »Also, Alice. Sie wollten uns etwas über die uralte britische Tradition erzählen, nach der man seinen Gästen bei einer Geburtstagsparty einen halben Kuchen serviert.« Sie lacht schrill. »Es klingt schier unglaublich. Sicher wollen Sie es uns erklären?«
»Meine Güte, Alice, wie interessant«, sagt Rachel, setzt sich hin und füttert Baby Dale mit Bananenbrei. »Erzähl uns mehr davon!«
Mein Hirn ist ratzeputz leer gefegt. Unzusammenhängende Fakten aus der britischen Geschichte blitzen vor mir auf.
Queen Victoria.
Heinrich VIII. und seine sechs Frauen.
Die spanische Armada.
Hoffnungslos. Nichts davon ist brauchbar.
Die Magna Carta.
Die Pest.
Ja, das ist es! Die Pest! »Es hat mit der Pest zu tun«, sage ich zuversichtlich.
»Mit der Pest«, echot Bruce, legt ein Gurkensandwich beiseite und glotzt meinen Kuchen an.
»Die Pest«, wiederhole ich planlos. Ich kann mich nicht an das Datum erinnern. »Die Pest in alten Zeiten. Manchen Schätzungen
Weitere Kostenlose Bücher