Zuckerguss und Liebeslieder Roman
das nicht ein bisschen gefährlich?«, habe ich besorgt eingewandt, als Wyatt es vor uns beiden in der Scheune enthüllte.
»Nein«, sagte Wyatt.
»Nein«, sagte Casey. »Wie schnell fährt es?«
Es ist ein herrlicher, sonniger Junitag, die Fenster des Hauses sind offen, und man hört nichts außer dem Brummen von Caseys neuem fahrbarem Untersatz, mit dem er auf dem Feld, in Gesellschaft von ein paar Freunden, Kunststückchen vollführt. Im Lauf des Tages wird es heißer und schwüler werden, aber jetzt, um zehn Uhr morgens, ist es überaus angenehm. Seit Beginn der Sommerferien verbringt Casey jeden Tag hier, schaut nach Mary Lou und
bettelt mir Klapptoasts mit Käse ab. Ich habe Casey vorgeschlagen, ob er nicht seine Schulfreunde zu meinem englischen Teestündchen einladen möchte. »Das wäre doch eine interessante kulturelle und kulinarische Erfahrung für sie«, brachte ich vor. Er war einverstanden, meinte aber, eigentlich würde er lieber in Columbus mit seinen Kumpeln Paintball spielen und danach zu McDonald’s.
Ich war todtraurig, als Ende Mai das Schuljahr zu Ende ging - drei Monate Sommerferien sind meiner Meinung nach viel zu lang. Die wöchentlichen Englischvokabeltests, die Übungsblätter in Mathe und die Referate fehlen mir richtig. Caseys Präsentation zur Flora und Fauna von Ohio war ein ziemlicher Kraftakt, für den wir, wie ich nicht ohne Stolz anmerken möchte, eine Eins plus bekommen haben. Ich darf wohl ohne Übertreibung sagen, dass meine Diashow über Giftpflanzen neue Maßstäbe für Referate in der achten Klasse gesetzt hat.
Während ich mit der Küchenmaschine herumspiele und ihre verschiedenen Geschwindigkeiten ausprobiere, steht Wyatt auf einem Stuhl und hängt eine Wimpelschnur aus blassblauem Krepppapier an die Decke. Alles Gute zum 12. Geburtstag, Kool Kid! ist darauf zu lesen. Es kommen sieben Gäste, und Heidi. Die sieben richtig eingeladenen Gäste sind Casey, Wyatt, Bruce, Dolores, Rachel, Baby Dale und ich. Heidi kreuzt so oder so auf. Ich habe Casey gefragt, ob seine Großeltern nicht auch gern kämen, aber er hat den Kopf geschüttelt. »Opa kann nicht, weil er mit der Farm zu tun hat, und Oma kann nicht, weil sie Sachen machen muss«, erklärte er. »Sie macht alles selber, Brot und Kuchen und Marmelade und Honig, und Seife.«
Obwohl nur sieben Leute förmlich eingeladen sind, hat Rachel darauf bestanden, dass wir das Haus schmücken.
Amerikanerinnen sind völlig besessen davon. Sie dekorieren unentwegt für die Feiertage, welche da sind: Thanksgiving, Weihnachten, Valentinstag, Ostern plus sämtliche Geburtstage und der vierte Juli (den ich naturgemäß nicht feiern werde, der Entschluss steht schon fest). Zu Ostern hängen sie draußen vor ihren Häusern Osterwimpel auf, rammen Stecken mit farbig bemalten Häschen aus Holz in ihre Gärten und schmücken die Bäume mit knallbunten Plastikeiern. In England schenkt man sich jeweils ein Osterei, in Amerika hingegen Riesenkörbe voller Schokolade. Ist alles ein bisschen gewöhnungsbedürftig.
Es gibt noch mehr, wovon Amerikanerinnen besessen sind: Einkaufen in der Shoppingmall, wie viele Schritte sie heute gelaufen sind (um die Kalorien wieder zu verbrennen, die sie sich mit körbeweise Schokolade angefuttert haben) und welches das beste Rezept für Brownies ist.
Rachel hat die Schachtel mit dem Dekomaterial gestern hier abgeladen und Wyatt aufgetragen, alles aufzuhängen. »Ich bringe einen großen Teller Brownies mit«, rief sie beim Gehen. Wenn man in Ohio zu einer Party eingeladen ist, wird erwartet, dass man selbst etwas zu essen mitbringt - noch so ein kurioser Brauch, an den man sich mit der Zeit gewöhnt. Wenn es etwas Pikantes ist, sollte es Spinat enthalten.
Für die Vorbereitungen zu meiner traditionellen englischen Teeeinladung trage ich eine weiße, bretthart gestärkte Schürze, die innen an der Küchentür hing. Wyatts Küchenutensilien sind samt und sonders aus Edelstahl (bei uns zu Hause haben wir nur die biegsamen schwarzen Plastikvarianten), und ich werfe nichts in den Abfalleimer - der sich geschmackvoll hinter einer Tür versteckt, die genauso aussieht wie die restliche Küchenfront -, weil ich so
viel Spaß an dem Müllschlucker habe. So müssen sich berühmte Fernsehköche fühlen.
Als ich gerade die Butter aus dem Kühlschrank hole, klingelt das Telefon. Ich erkenne die Nummer - es ist Larry, Wyatts Agent.
»Larry«, rufe ich Wyatt zu. Ich weiß schon, was jetzt kommt.
»Können Sie
Weitere Kostenlose Bücher