Zuckerguss und Liebeslieder Roman
einmal eine Oma, die kochte und backte und sang, doch die Frau, die da vor mir steht, hat keinerlei Ähnlichkeit mehr mit ihr.
»Ich habe alles gehört, Vater«, sagt sie.
Sie sieht mich aus farblosen, wässrigen Augen an. »Ich nehme an, Sie sind die junge Engländerin, die bei Wyatt wohnt.«
»Ja.«
Woher weiß sie das? Ich gucke wohl etwas verdutzt, denn sie sagt steif: »Ich gehe immer noch zur Kirche. Und Sie kennen Casey?«
Ich zögere. »Ja«, sage ich dann gedehnt.
»Und Sie kennen auch Mary Lou?«
»Ja.«
Sie mustert mich durchdringend und nickt fast unmerklich. »Ich glaube, ich verstehe.« Sie überlegt. »Lass dir von ihr helfen, Vater.«
Sein Kinn ruckt wieder vor. »Damit alle über uns Bescheid wissen, Mutter?«
»Es ist für den Jungen«, erwidert sie ruhig.
Ich halte den Atem an. In dem Schweigen, das nun herrscht, höre ich das schwere Ticken einer Standuhr.
Er wendet sich ab. »Nein.«
Ich schaue zu Oma und sehe den Kummer in ihren Augen.
»Warten Sie!«, rufe ich. »Eigentlich - also streng genommen - ist es ja für Mary Lou.«
Opa bleibt stehen und dreht sich langsam um. Bevor er etwas sagen kann, rede ich schon weiter.
»Es käme schließlich nicht Ihnen zugute, sondern Mary Lou.« Eine zuunterst in meinem Hinterkopf begrabene Phrase von Stephen kommt mir in den Sinn. »Sie wäre die Nutznießerin der Stiftung.«
Ich hole tief Luft.
Dann lässt sich Oma vernehmen. »Siehst du. Es wäre eine richtige Stiftung. Ganz legal. Für die Kuh.«
Sie eröffnet Opa einen Ausweg, eine Lösung, mit der er sein Gesicht behält und Hilfe annehmen kann. Und wie er sich da so den Bart reibt, überlegt er offensichtlich, ob das für ihn akzeptabel ist.
»Sie geben mir Ihr Wort, dass es für Mary Lou ist«, sagt er ernst.
»Ich gebe Ihnen mein feierliches Wort«, sage ich mit so viel Aufrichtigkeit, als ginge es um ein Ehegelöbnis.
Er schaut von Oma zu mir. »Gut denn.«
30. KAPITEL
Eine Benefizveranstaltung für eine Kuh auf die Beine zu stellen, ist kein Kinderspiel. Bisher interessiert sich kein Mensch dafür. Mr. Horner ist vollauf mit dem Dorffest beschäftigt. Dolores konzentriert sich ausschließlich auf ihr neues Diät- und Fitnessprogramm - diesmal wird sie es durchhalten, sagt sie. Und Madison sagt, sie werde »sich melden« und mir Bescheid geben, ob sie zur Verfügung steht. Eine Unverschämtheit! So muss sich Bob Geldof fühlen, wenn er einen von diesen Mega-Events organisiert. Kein Wunder, dass er so viel flucht. Wyatt streicht mit Bruce die Scheune, und aus den beiden ist kein Wort herauszubringen. Der einzige Mensch, der überhaupt Interesse
zeigt, ist Casey; er fragt mich täglich, wie viel Geld ich schon aufgetrieben habe.
Es ist Montagmorgen, ich sitze im Cottage am Küchentisch und blicke verzagt auf meine »Konzert für die Kuh«-Liste, da kommt Gerry mit zwei Styroporbechern Kaffee und einer kleinen Schachtel Krispy Kreme-Doughnuts hereinspaziert.
»Nicht Lauren verraten«, sagt er augenzwinkernd. Bei Gerry passt immer alles zusammen. Heute trägt er ein blütenweißes Polohemd, hellbraune Bermudashorts und braunlederne Segelschuhe von Tod’s. Er ist mit Abstand der schickste Bewohner von ganz Barnsley.
Er zieht sich einen Stuhl heran. »Na, was steht an?«
Ich schüttle den Kopf. »Ich weiß einfach nicht, wo ich mit dieser Wohltätigkeitsgeschichte für Mary Lou anfangen soll. Niemand interessiert sich dafür - alle denken nur an das Dorffest.«
Gerry nickt. »Dann schieb es eben bis zwei oder drei Wochen nach dem Dorffest auf und komm den Leuten dann mit der Idee.«
Ich bin entsetzt. »Zwei oder drei Wochen! Das reicht doch nie im Leben. Solche Projekte muss man Monate im Voraus detailliert planen.«
»Wir sind hier in Barnsley, Alice. Nach dem Dorffest steht nichts weiter auf dem Plan als das Dorffest im nächsten Jahr.«
Da hat er wohl recht.
»Außerdem«, fährt Gerry fort und beißt von seinem Doughnut ab, »ist da doch nichts weiter dabei.«
Ich schnaube gereizt. »Es sind Hunderte von Details auszuarbeiten und große Entscheidungen abzusprechen. Der Veranstaltungsort zum Beispiel.«
»Turnhalle der Highschool«, sagt Gerry nüchtern. »Das ist doch klar wie Kloßbrühe.«
»Wieso?«, frage ich verwirrt.
»Weil es hier nichts anderes gibt.«
Ich schreibe Turnhalle der Highschool auf.
»Ruf einfach beim Direktor an oder frag Mr. Horner«, sagt er.
»Aber Mr. Horner ist doch pensioniert«, wende ich ein.
»Schon, aber der jetzige Direktor
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