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Zuckerguss und Liebeslieder Roman

Zuckerguss und Liebeslieder Roman

Titel: Zuckerguss und Liebeslieder Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosie Wilde
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entschieden.
    Und wo genau ist das?
    »Mr. Horner kann sie bis zum Markttag bei sich behalten«, sagt er.
    Armer Casey. Er musste also alles geheim halten.
    Ich schaue mich in der Küche um und entdecke die Verpackung einer Tiefkühl-Fertigmahlzeit (Makkaroni mit Käse), die aus dem Abfalleimer ragt. Die Obstschale ist leer. Allmählich dämmert mir, warum Casey immer Hunger hat. Und als Opa sich erhebt, ein stolzer alter Mann, der verzweifelt versucht, selbst mit allem fertig zu werden, und um keinen Preis eine Niederlage eingestehen will, begreife ich auch, warum Casey mir all die Geschichten über Oma und ihre Backkünste aufgetischt hat: Man hat ihn ebenfalls dazu erzogen, niemals eine Niederlage einzugestehen.
    Opa reckt trotzig das Kinn vor. »Guten Tag.«
    »Aber was ist mit Casey?« Mir bleibt nichts übrig, als ebenfalls aufzustehen. »Er liebt Mary Lou. Jeden Tag ist er stundenlang bei ihr. So höre ich es jedenfalls von ihm«, füge ich rasch an.
    »Guten Tag.«
    Er schlurft in den Flur. Ich folge ihm. Aber ich will noch nicht aufgeben. »Hören Sie«, sage ich. »Wenn Sie etwas gegen Wyatt einzuwenden haben, was ist dann mit dem
restlichen Ort? Wenn Mary Lou bei der State Show einen Preis gewinnt, wäre das eine Ehre für Barnsley. Es wäre doch sicher nichts Verkehrtes daran, wenn man den Ort mithelfen lässt?«
    Er bleibt stehen. »Mithelfen?«
    Was ich da rede, verwirrt mich ebenso wie ihn, aber jetzt ist es zu spät. Mir kommt eine Idee. »Wir könnten doch ein Benefizkonzert veranstalten«, sage ich. »Ein bisschen so wie Live Earth.«
    »Live Earth?«, fragt er verständnislos. »Ist das eine Farmerkooperative?«
    »So etwas Ähnliches«, sage ich. »Sie machen Veranstaltungen und sammeln dabei für gute Zwecke.«
    »So was wie private Flohmärkte?«
    »Und Konzerte. Warum soll man das nicht auch für eine Kuh machen? Die Leute könnten etwas singen.«
    »Singen?«
    »Ja. Zum Beispiel die Truppe von der Straßeninspektion.«
    Offenbar habe ich endlich seine Aufmerksamkeit geweckt. Nur keine Pausen eintreten lassen. »Und man könnte noch andere interessante Sachen machen. Mr. Horner könnte Gedichte rezitieren, und wir könnten ein Spanferkel am Spieß braten!«
    »Aber es sind Almosen«, wendet er störrisch ein.
    »Nein! Es ist eine Rückkehr zum Geist des alten Mittleren Westens, als ein Nachbar dem anderen half und die Planwagen bei Sonnenuntergang eine Wagenburg bildeten.« Ich bin jetzt so in Schwung, dass ich nicht einmal wage innezuhalten, um wieder zu Atem zu kommen. »Als alle Frauen zusammenkamen, um einer jungen Mutter mit ihrem Neugeborenen zu helfen, und die Männer Bohnen
mit Tomatensauce über dem offenen Feuer wärmten. Es sind keine Almosen, es ist Nachbarschaftsgeist.«
    »Hört sich für mich trotzdem nach Almosen an«, sagt er kopfschüttelnd. »Die Leute wissen zu lassen, dass wir unsere Rechnungen nicht zahlen können.« Er verstummt abrupt, und mir wird klar, dass das ein unfreiwilliges Eingeständnis war. In seine Wangen steigt eine leichte Röte. Dann fällt sein Blick auf eins der Fotos, das an der Wand hängt. Es ist ein Familienporträt, ähnlich denen, die Rachel hat machen lassen. Oma und Opa sitzend, Casey links neben ihnen, rechts ihr Sohn und seine Frau. Ihr toter Sohn.
    »Das kann jedem passieren«, sage ich weich. »Niemand würde deshalb schlecht von Ihnen denken.« Ich deute zum Fenster. »Es ist bestimmt schwer, die Farm ganz allein zu bewirtschaften.«
    Sein Blick wandert ebenfalls zum Fenster. »Es gab eine Zeit, da hatten wir zweihundert Stück Hornvieh und Maisfelder bis rauf zu dem Hügel da.« Ihm versagt die Stimme. »Ich hab das alles für meinen Sohn gemacht, verstehen Sie. Und jetzt halten wir weiter aus, für Casey.«
    Ich sehe mich um und bemerke erst jetzt die schmutzverkrusteten Fenster und die dicke Staubschicht auf den Möbeln. Wie lange sie wohl noch so aushalten können? Aber für mich gibt es nichts mehr zu sagen, ich habe getan, was ich konnte.
    Opa hält mir die Tür auf. »Wir kommen zurecht«, sagt er hölzern.
    Ich greife nach meiner Handtasche, die auf dem Tisch im Flur liegt.
    »Warten Sie!« Es ist eine Frauenstimme, so leise, dass ich sie fast überhört hätte, aber mit einer inneren Kraft, die mich herumwirbeln lässt. Da steht, die Hand um das Eichenholzgeländer
gekrampft, eine winzige weißhaarige Gestalt in einem buntkarierten Morgenmantel. Ich erkenne sie von dem Familienfoto, aber mein Gott, ist sie alt geworden. Casey hatte

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