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Zuckerleben: Roman (German Edition)

Zuckerleben: Roman (German Edition)

Titel: Zuckerleben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pyotr Magnus Nedov
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Hand stehen und ihn, den Helden der sozialistischen Arbeit, mit Ehrfurcht um ein paar Ratschläge auf ihrem Weg in die Zukunft bitten. Direktor Hlebnik würde hierauf Ilytsch mit Tränen im Gesicht kameradschaftlich umarmen und das Bankett zu Ehren seiner Pensionierung eröffnen.
    Ilytsch passiert das alte Lagerhaus, an dem ein zwei Meter großes Wappen der Sowjetunion aufgemalt ist, und betritt den Parkplatz der rayonalen Zuckerfabrik von Dondușeni, wo auf der linken Seite die angerostete Ehrentafel des Staatsbetriebs mit den vergilbten Fotos all jener, die sich um die Zuckerfabrik verdient gemacht haben, angebracht ist. Ilytsch bleibt stehen und sieht sich um.
    »Das hier ist mein Lebenswerk«, flüstert der Held der sozialistischen Arbeit ehrfürchtig, den Blick auf den Schornstein der rayonalen Zuckerfabrik gerichtet.
    »Schleich dich!«, fährt ein unbekannter, nach Speck duftender Wachtmeister, der mit einem Schlagstock in der Hand aus dem Wachhäuschen herauseilt, den Helden der sozialistischen Arbeit an. Wladimir Pawlowitsch erklärt dem Wächter, wer er ist und dass er in der Zuckerfabrik vom Direktor Hlebnik und dem Kollektiv erwartet wird. Der Wachtmeister sieht Ilytsch lange an und räuspert sich kurz.
    »Tut mir leid, die Zuckerfabrik ist geschlossen. Und Hlebnik ist auch weg. Du darfst da nicht rein.«
    »Wo ist Direktor Hlebnik denn hin?«, fragt Ilytsch.
    »Amerika, sagt man«, erwidert der Wachtmeister, mustert Ilytsch mit einer Mischung aus Staunen und professionellem Mitleid und bietet dem Helden der sozialistischen Arbeit versöhnlich eine moldawische Zigarette der Marke Axt light an. Ilytsch lehnt ab.
    »Du solltest dich beeilen, wenn du die Schuhlieferung unten beim UNIVERSAM nicht verpassen willst. Wer weiß, wann die nächste kommt. Da sind auch genug Leute aus der Zuckerfabrik, die können dir mehr sagen«, rät der Wächter dem Helden der sozialistischen Arbeit, zündet sich die Axt light an und deutet mit seinem ausgestreckten Schlagstock Richtung Universalladen.
    »Sieh mal her, Wachmann.«
    Ilytsch zeigt dem Wachtmeister seine wettergegerbten Hände.
    »Ich habe diese Zuckerfabrik hier mit diesen Händen aufgebaut. Wer bist du, mir zu sagen, dass ich da nicht reindarf? Woher nimmst du dieses Recht? Und was ist jetzt mit dem Lohn der Leute? Mit meiner Rente? Wovon soll das Kollektiv jetzt leben?«, fragt Ilytsch, reißt ihm die Axt light aus dem Mund, in dem nur der angebissene vergilbte Filter der Zigarette zurückbleibt, und wirft sie dem überrumpelten Wachtmeister ins Gesicht.
    Auf der Kotowskaja Nr.   43 sind eintausend Moldawier, zwei Dutzend Podolier und einige Händler aus dem Transnistrischen zusammengeströmt.
    Die meisten von ihnen scharen sich schon seit den frühesten Morgenstunden von Entzücken erfüllt in einer langen Schlange und plagen einander mit hochbrisanten Fragen wie:
    »Werden die 60   Rubel wohl ausreichen?« oder:
    »Sag Maria, sie soll Onkel Sandu nach seiner Schuhgröße fragen, während ich hier auf den beschissenen Lkw warte!«
    Genosse W.   I. Lenin beobachtet angeheitert von seinem Sockel auf der gegenüberliegenden Straßenseite aus die fünf in Blauzeug gekleideten Arbeiter, die den Gitterkorridor fertig montieren. Vor dem fünfzehn Meter langen und eher schmalen Obstakel, das traditionsgemäß als Vorsichtsmaßnahme vor den anstürmenden Käufern, die davon abgehalten werden müssen, die UNIVERSAM -Angestellten zu erschlagen oder die Ware zu stehlen, am Tag jeder großen Schuhlieferung genau vor dem Eingang zum Universalladen aufgebaut wird, nehmen die 1000 Moldawier, 24   Podolier und 8 russischen Händler aus dem Transnistrischen routiniert ihre Startposition ein und betrachten mit apathischer Gleichgültigkeit das kleine Oktoberling-Mädchen in tadelloser Schuluniform, das sich über die versammelte Masse an Erwachsenen lustig macht und zu diesem Zweck vor der bröckelnden Betonfassade des UNIVERSAM Grimassen schneidet.
    Am späten Nachmittag, als der URAL4320 vom Lenin-Boulevard in die Kotowskaja einbiegt, ballt sich das explosive Gemisch aus Arbeitern, Geschäftsleuten, Kriegsveteranen erster und zweiter Klasse, Spekulanten, Intellektuellen, Gaunern aller Art, den Händlern aus dem Transnistrischen und dem Helden der sozialistischen Arbeit Wladimir Pawlowitsch, genannt Ilytsch, im Nu zu einem Keil zusammen und setzt sich zügig in Bewegung auf den langsam zum Stillstand kommenden Laster zu. Die Leute toben und stoßen, fluchend versucht auch

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