Zuckerleben: Roman (German Edition)
Generalsekretär des ZK der KP d SU. Möglicherweise hätte er, Hlebnik, als Generalsekretär dann auch mal von seiner alten moldawischen Residenz in Dondușeni aus von seinem Telefon mit den roten Knöpfen Gebrauch gemacht: Generalsekretär Hlebnik drückt auf eine Taste, auf der anderen Seite der Leitung erklingt alsdann die servile Stimme des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees eines noch aus dem Schulunterricht als exotisch bekannten Landes, Deutschlands zum Beispiel. Hlebnik erkundigt sich pro forma nach dessen Wohlbefinden, zitiert aus dem Gedächtnis einige programmatische Floskeln vom XXVII . Parteitag, à la: »Die allgemeine Krise des Kapitalismus vertieft sich. Unaufhaltsam schrumpft sein Herrschaftsbereich, immer deutlicher wird es, dass er historisch dem Untergang geweiht ist«, schlussfolgert motivationsspendend, dass »bei aller Ungleichmäßigkeit, Kompliziertheit und Widersprüchlichkeit die Bewegung der Menschheit zum Sozialismus und Kommunismus unaufhaltsam ist«, und erteilt dem Genossen in Berlin freundliche politische Empfehlungen. Unmittelbar danach greift Generalsekretär Hlebnik zum zweiten Apparat, den mit der militärischen Fernsprechleitung, und koordiniert (beispielsweise) mit dem Kommandanten der 11. Sowjetischen Garde-Panzerdivision in Dresden, oder je nach Lust und Laune mit einem anderen Kommandanten der in 777 Armeestützpunkten beherbergten 24 sowjetischen Divisionen in Deutschland, seine freundlichen politischen Empfehlungen. Danach würde sich Generalsekretär Hlebnik in seinem vor einer gefühlten Ewigkeit zu einer Sitzgelegenheit umfunktionierten Weinfass mit der Aufschrift » PURCARI-WEIN « zurücklehnen und mit Vergnügen daran denken, wie sie in der fremden Hauptstadt jetzt gleich anfangen würden, eiligst seine »Empfehlung« umzusetzen. Mit Genugtuung würde sich Hlebnik, Gorkis Mutter streichelnd, ein Gläschen moldawischen Cognacs über einem Artikel von Nüchternheit und Kultur -Journalist Bogrinowitsch genehmigen, darüber schmunzeln, wie er mal als Zuckerfabrikdirektor von Dondușeni mit seinem rayonalen Nüchternheitskomitee angefangen hat, die beschwerliche Nomenklatura-Karriereleiter hochzusteigen (doch, wie de Gaulle auch schon mal in einer Ansprache feststellte: »Ja, der Weg ist steinig. Aber der Weg ist schön!«), und mit einem komplizenhaften Augenzwinkern zur Wertuschka mit der speziellen Regierungsleitung greifen und verfügen, dass der Journalist Bogrinowitsch unverzüglich den Lenin-Orden und eine Nomenklaturastelle in der Zuckerindustrie bekommt.
Als dem Spekulanten Pitirim Tutunaru in dem zu einer Sitzgelegenheit umfunktionierten Weinfass mit der Aufschrift »PUR-CARI-WEIN« diese Gedanken durch den Kopf gehen, erscheint in seinem Sichtfeld eine hundeartige Kreatur mit rötlichem Fell, die mindestens ein halbes Kilo defizitärer Doktorenwurst im Maul transportiert. Tutunaru sieht das Tier verdutzt an; der Säuger erwidert stumm Tutunarus Blicke. Der Moldawier erhebt sich langsam, um das Tier nicht zu verschrecken, nimmt die dicke Parastas-Kerze von Gorkis Mutter und macht einen Schritt nach vorn, weg von Hlebniks Degustationstisch. Das Tier hustet, lässt die Doktorenwurst für wenige Augenblicke fallen, und, als der Fuchs sich Tutunarus Aufmerksamkeit sicher ist, nimmt er die Doktorenwurst wieder in sein Maul und rennt davon, so schnell ihn seine Beine tragen. Tutunaru eilt instinktiv der Doktorenwurst nach, joggt an den Gläsern von Eingemachtem und an dem ungarischen Loch vorbei, durch das er, mithilfe von Gorkis Kunststoff- Mutter , von oben gekommen ist, dem Fuchs mit der Doktorenwurst in einen langen Tunnel hinterher. Behutsam wählt Tutunaru seine Geschwindigkeit so, dass ihm einerseits die Parastas-Kerze nicht ausgeht und ihn andererseits der Fuchs nicht abhängt. Der Tunnel wird nach einigen Minuten deutlich breiter; wie aus dem Nichts tauchen auf dem Boden Schienen auf, die wie eine mythologische Metallschlange aus einem griechischen Epos in Doppelspur die Windungen, Höhenunterschiede und Neigungen des Tunnels beschreiben. Doch der Fuchs wird deswegen nicht langsamer. Tutunaru eilt, mit dem lässig grinsenden Chuck Norris auf seinem weißen Unterhemd, dem Säugetier nach. Bald begegnen sie einem aus der Ferne undefinierbaren weißen Haufen, der gegen die rechte Tunnelseite lehnt und sich mit jeder Sekunde mehr aufbläht: Es sind eintausend weiße, prall gefüllte Säcke (jeweils 40 Kilogramm schwer), auf denen die schwarze
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