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Zuckerleben: Roman (German Edition)

Zuckerleben: Roman (German Edition)

Titel: Zuckerleben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pyotr Magnus Nedov
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vernehmen, geht der EHH R.   F. auf den Saray zu, wo er die Speisekammer vermutet.
    Als sich ein Teil des Geländers aus seiner Verankerung löst und auf den Boden der inzwischen völlig verwüsteten Abfüllhalle 2 der Zuckerfabrik von Dondușeni herunterdonnert, bleibt Felix Edmundowitsch stehen. Durch seine senkrechten Pupillenschlitze nimmt er die wärmenden Lichtstrahlen auf, die sich mühsam den Weg durch die Staub- und Geröllflocken bahnen. Er muss husten und setzt seinen Weg schließlich fort. Felix Edmundowitsch klettert über einen Schutthaufen und trifft dahinter den auf einer umgedrehten Werkzeugkiste sitzenden Helden der sozialistischen Arbeit Wladimir Pawlowitsch, genannt Ilytsch, an. Ilytsch hält in seiner widerstandsfähigen Schweißerhand eine größere Sprottenkonserve und balanciert die in Tomatensaft getauchten Fischstückchen auf einem öligen 11er-Schraubenschlüssel zu seinem Mund. Felix Edmundowitsch sieht gebannt auf die Konserve. Ilytsch ist allein und bietet einen verwahrlosten Anblick: Seine Haare sind zerrauft, sein aus einem polnischen Nomenklaturaladen importierter Nadelstreifanzug hängt ihm in abenteuerlichen Lumpen vom Körper herab, seine kräftigen Backenknochen sind angeschwollen, nur Ilytschs dicke Hornbrille scheint wie durch ein Wunder heil geblieben zu sein.
    »Ach, Felix Edmundowitsch, du bist noch hier?«, ruft Ilytsch mit müder Begeisterung, als er den unerwarteten Gast bemerkt, und stellt ihm die Konserve vor die behaarten Füße. Felix Edmundowitsch hustet leise und stiert Ilytsch mit einem alles durchdringenden Blick an.
    »Ach, frag mich nicht, Felix Edmundowitsch. Homo homini lupus est , wie man sagt.«
    Der Nahrungsopportunist verschlingt den Inhalt der Sprottenkonserve des Helden der sozialistischen Arbeit wortlos, bedankt sich bei Wladimir Pawlowitsch mit einem Blick und nähert sich ihm ein wenig. Und da hat Wladimir Pawlowitsch das Gefühl, als wollte der Rotfuchs ihm mit seiner Präsenz ein wenig Trost spenden, als würde Felix Edmundowitsch, der Fuchs, verstehen, dass Ilytsch von seinen Begleitern sofort fallen gelassen wurde, nachdem sie die Fabrik auseinandergenommen hatten und feststellen mussten, dass es im Zuckerwerk nichts mehr zu holen gab, dass Hlebniks Zuckerreserven nicht in der Fabrik waren und Ilytsch nicht wirklich wusste, wo der Direktor seine 40   Tonnen versteckt hielt. Ilytsch erhebt sich von der Werkzeugkiste und lässt seine Blicke durch die verwüstete Halle schweifen.
    »Vielleicht weißt du, Felix Edmundowitsch, wo Hlebnik seine 40   Tonnen Zucker versteckt hat?«
    Felix Edmundowitsch, der Fuchs, ist jedoch nicht mehr da.
    Da sieht sich Pitirim Tutunaru in Zuckerfabrikdirektor Hlebniks zweistöckiger Datscha, die von einem bewaldeten Hügel aus die märchenhafte Landschaft hinter der Zuckerfabrik von Dondușeni beherrscht, wieder. Der Moldawier hatte zuerst gehörig gezögert, dann aber leise »Ach, scheiß drauf. Ohne Risiko kein Champagner!« gerufen, um sich selbst Mut zuzusprechen, einmal in die Hände gespuckt und sich an einem Nussbaum über den Bretterzaun auf die Seite von Hlebniks Ferienhaus gehievt; überraschend flink für einen Menschen, der soeben aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Den Schlüssel fand Tutunaru unter einer Türmatte. Das hatte der Dondușenier Spekulant wohl einer überheblichen Nachlässigkeit seitens Direktor Hlebniks zu verdanken, denn welcher Sowjetbürger, der noch alle Tassen im Schrank hat, bricht schon in die Staatsdatscha eines Nomenklaturisten ein? Dass sich die Ereignisse derart rasant überschlagen und eine unerwartet unvorteilhafte Wendung für Hlebnik nehmen würden, darauf war der Zuckerfabrikdirektor wohl nicht gefasst gewesen. Dies bezeugt nun auch der Zustand der Datscha, die so aussieht, als hätte sie jemand in großer Eile verlassen. Von den 40   Tonnen Zucker ist in der Datscha jedoch keine Spur.
    Es ist nach Stromausfall. Der junge Moldawier zündet seine Parastas-Kerze an, die er standardmäßig bei sich trägt, um sich nach Stromausfall ebenfalls gut orientieren zu können, und beleuchtet damit das eingerahmte Foto auf dem Schreibtisch, auf dem Direktor Hlebnik mit irgendeinem Stadtkomitee-Kumpanen vor der Kreml-Kantine, Granowski-Straße 2, posiert. Der Zuckerfabrikdirektor ist frisch rasiert, und seine Haare sind sorgfältig nach hinten gekämmt, wirken aber weder altmodisch noch allzu modern, sondern irgendwie dazwischen: funktional-halbmodern; wie der Anzug, in den Direktor

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