Zuckerleben: Roman (German Edition)
nicht in den Kram passt, aber bei ihm sagst du nichts«, Vadim zeigt auf den Ewig Hungrigen Historiker: »Warum darf Roma mit nach Italien? Ich meine, was für einen Beitrag für das Italien-Projekt leistet Roma denn? Er war noch nie in Italien. Er kann kein Italienisch. Hat keine Verwandten dort und verfügt auch sonst über keine praktischen Fähigkeiten, die uns weiterbringen würden. Und trotzdem hast du ihn eingeweiht.«
Der EHH R. F . sieht Vadim den Maler mit seinen schlaflosen Augen neugierig an. Nicht etwa entsetzt oder enttäuscht, sondern einfach nur neugierig, während sich Pitirim Tutunaru innerlich die Frage stellt, ob es denn nicht tatsächlich besser gewesen wäre, seinen Italien-Plan allein durchzuziehen.
Da hätte er Hlebniks 40 Tonnen Zucker lediglich mit dem Helden der sozialistischen Arbeit Wladimir Pawlowitsch teilen müssen, hätte also 20 Tonnen Zucker für sich allein gehabt. Mit Ilytschs Hilfe hätte er dann die 20 Tonnen Zucker zu 10 000 Liter Samagon verarbeitet und an den Mann gebracht. Um mit dem Geld oder den daraus gewonnenen Wertgegenständen die Reise nach Italien anzutreten. Aber selbst wenn es ihm geglückt wäre, allein nach Italien zu kommen, so wäre er dann doch allein unter Fremden dort gewesen. Und hätte sich gar nicht an seinem neuen Leben erfreuen können. Deswegen ist es die richtige Entscheidung gewesen, sagt sich Pitirim, seine Freunde einzuweihen. Und selbst wenn ab und an etwas misslingt, wie die Sache mit dem Italien-Visum, so behält die Volksweisheit ihre Gültigkeit, die besagt, dass geteiltes Leid halbes Leid ist.
Es wär schön, noch ein moldawisches Mädel zu finden, das mit mir nach Italien käme …
Zu Vadim dem Maler sagt Tutunaru:
»Du würdest doch den armen Roma hier in Moldawien nicht der Krise zum Fraß vorwerfen und dann ein schönes Leben in Italien genießen können, oder?«
»Ich habe ja auch gar nichts dagegen, dass Roma mitkommt. Es freut mich sogar. Er ist mein Freund. Ich will damit auch nur sagen, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird.«
»Das stimmt nicht. Erstens ist Roma mein Assistent. Und zweitens ist Roma unser Bauopfer. Gewissermaßen.«
»Was ist er?«
»Vadim, wenn du eine schwierige Unternehmung in Angriff nimmst, musst du ein Opfer, eine Art Bauopfer , erbringen, damit diese Unternehmung von Erfolg gekrönt ist. Wir nehmen Roma umsonst mit nach Italien. Und das ist das Bauopfer, das wir erbringen, damit das Gebäude, das wir errichten wollen, unser Italien-Projekt also, metaphorisch gesprochen, nicht einstürzt. Man braucht ein philosophisches Gerüst für solche Dinge, weißt du? Du kannst nicht immer nur egoistisch handeln. Du kannst nicht immer nur nehmen und nichts zurückgeben. Verstehst du? Abgesehen davon empfiehlt es sich immer, bei bedeutsamen Unternehmungen einen Akademiker dabeizuhaben. Als Stimme der Vernunft«, erklärt Tutunaru und inhaliert genüsslich den Rauch seiner Flötchen.
Darauf Schweigen.
Köchelndes Teewasser.
Aus dem Hintergrund meldet sich der Ewig Hungrige Historiker, mit ausgeglichener und für sein Erscheinungsbild unpassend munterer und wacher Stimme zu Wort:
»Wir sollten den Gespächsgegenstand nicht aus den Augen verlieren. Und beim Subjekt bleiben. Also bei der Lenin’schen Urfrage: ›Was tun?‹«
Tutunaru bemüht sich ernst zu bleiben:
»Roma, bitte ergreife das Wort!«
»Wir sollten nach einer Basis für eine realistische Lösung des Problems, nämlich wie wir am besten nach Italien kommen, Ausschau halten. Ich will damit sagen, dass wir zielgerichtet denken sollten. Und davon ausgehen, was wir haben. Und wenn wir uns das fragen, dann stellen wir Folgendes fest: Wir verfügen über ein echtes Visum für Polen. Das ist viel wert! Auf jeden Fall mehr als ein gefälschtes italienisches Visum. Das Wichtigste ist jetzt, so wie ich die Lage einschätze – und ich schätze sie sehr ernst ein –, so schnell wie möglich über die sowjetische Grenze zu kommen. Wenn wir erst mal in Polen sind, wird es nicht mehr so schwer sein, nach Italien zu gelangen. Deswegen glaube ich, dass Vadim unter den gegebenen Umständen richtig gehandelt hat. Ich schlage vor, wir halten uns an das ursprüngliche Szenario und fahren über Polen nach Italien. Und wir sollten zudem schnell handeln. Wer weiß, wie viel Zeit uns noch bleibt, bis sich die politische Lage noch weiter destabilisiert.«
Vadim der Maler nickt und stimmt so den Worten des Ewig Hungrigen Historikers zu.
»Die
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