Zuckerleben: Roman (German Edition)
würde er vor seinem inneren Auge den langwierigen Destillationsprozess der 3 Tonnen Zucker zu 1500 Liter Samagon, die Vadim gerade Kanister für Kanister ausgeschüttet hat, leidvoll nachempfinden.
Vadim der Maler nimmt Tutunarus Reisepass an sich und streicht mit dem Handrücken darüber.
»Jetzt nimm das doch nicht so schwer, Tutunaru.«
»Wie bitte?«
»Es gab Komplikationen.«
»Das ist keine Komplikation, chizda mătii , Vadim. Das ist Polen, blya . Polen! 500 Liter reinsten Samagons für so einen Wisch. Pro Person. Hast du Schwierigkeiten mit der Geografie und irgendwie Italien mit Polen verwechselt? Oder hast du dich bei den Bibilaschwili-Brüdern derart besoffen, dass du nicht mehr gemerkt hast, was sie dir in den Pass reinkleben?«
»Tatsache ist, dass es keine Visa für Italien gibt. Nicht für den Preis, nicht für den selbstgebrannten Schnaps und nicht in dem Zeitrahmen, den wir vorgegeben haben. Und wenn du imstande gewesen wärst, das Italien-Visum zu organisieren, warum hast du das dann nicht selbst gemacht?«
»Vadim, wer hat behauptet, ich zitiere: ›Besorg du nur den Samagon, um den Rest kümmer ich mich. Ich hab meinen Mann im Ministerium.‹? Du? Oder ich?«
Schweigen.
»War das denn nicht die Abmachung?«
»Die Abmachung war, dass ich die Isidora baue und von ihr Bilder male und wir diese Gemälde, zusammen mit deinen grotesken Italiengedichten, an reiche Italiener verkaufen, sobald wir in Italien sind. Mit dem Erlös und dem Rest unseres moldawischen Zucker- beziehungsweise Schnapskapitals kaufen wir uns die italienische Staatsbürgerschaft. Danach gründen wir diese Speditionsfirma, das Transportunternehmen zwischen Italien und Moldawien, von dem du gesprochen hast, gehen unserer Kunst nach und genießen das krisenfreie Leben in Italien. Das war die Abmachung. Ich habe mich mit meinen Bildern in das Italien-Projekt eingekauft, sozusagen.«
»Ja, mit deinen Bildern, die du noch nicht gemalt hast.«
»Aber ich werde sie malen. Die Isidora hab ich ja schon gebaut! Oder etwa nicht?!«, ripostiert Vadim der Maler, reißt seinen Arm in der Pose eines proletarischen Übermenschen stolz in die Höhe und zeigt hinter sich, in die Abfüllhalle 2 der Zuckerfabrik von Dondușeni. »Außerdem habe ich die Papiere besorgt bei den Bibilaschwilis.«
»Für das falsche Land. Ich hätte dich das Visum selbst bezahlen lassen sollen, Vadim. Dann hättest du dir mehr Mühe gegeben und hättest dich nicht mit einem polnischen Visum abspeisen lassen.«
Vadim der Maler betrachtet den Dondușenier Spekulanten Tutunaru mit einem Anflug von Trauer.
»Aber selbst wenn es so wäre, dass wir nur bis Polen kämen, verstehe ich nicht, was dir an Polen nicht passt. Ich war selbst schon mal dort. Zweimal. Polen ist jetzt ein demokratisches Land. Mit freien Wahlen und so. Ich bin mir sicher, dass wir dort auch ein gutes Leben führen könnten, als Alternative zu Italien.«
»Kannst du dich erinnern, was vor dreiundzwanzig Jahren in Prag passiert ist, Vadim? Die Tschechen, die wollten auch demokratisch sein damals. Mit freien Wahlen und so. Und diejenigen, die so demokratisch sein wollten, wurden dann – bestenfalls, ich betone, bestenfalls – in eine Zuckerfabrik wie diese hier abkommandiert, um dort für den Rest ihres Lebens für den halben Lohn Zuckerrüben zu waschen. Ohne Aussicht auf Beförderung in die Abfüllabteilung. Das ist der Ostblock, Vadim. Der Ostblock. Bist du wirklich bereit, im Fall des Falles für den Rest deines Lebens Zuckerrüben zu waschen?«
»Mal doch den Teufel nicht an die Wand. Die Kommunisten kommen in Polen nie wieder an die Macht. Und selbst wenn, dann werden es sehr liberale Kommunisten sein.«
»Und weißt du, was der Unterschied zwischen einem Liberalen und einem liberalen Kommunisten ist?«
Vadim der Maler schweigt, als hätte er Tutunarus Frage überhört.
»Der Unterschied zwischen einem Liberalen und einem liberalen Kommunisten, Vadim, ist wie zwischen einem Stuhl und einem elektrischen Stuhl. Sicher, du kannst auch auf einem elektrischen Stuhl sehr bequem sitzen. Bis deine kommunistischen Liberalen den Strom einschalten. Und wenn das passiert, möchte ich nicht in Polen sein.«
»Dann bleiben wir eben bei Italien.«
»Unbedingt!«, antwortet der Dondușenier Schwarzmarktspekulant Tutunaru und zündet sich eine moldawische Zigarette der Marke Flötchen an.
»Weißt du, was ich nicht verstehe, Tutunaru? Mir machst du hier die Hölle heiß, sobald dir was
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