Zuckerleben: Roman (German Edition)
Stimme der Vernunft«, meint Pitirim. Und zuckt zusammen.
Es pfeift.
Laut.
Und immer schriller.
Angebrannter Kupfer brennt in seinen Nasenlöchern.
Und schiebt ihm eine Träne aus dem Tränensack. Es ist der angerußte Kochtopf über dem improvisierten Kartuschengaskocher, der sich auf dem Tisch befindet, in dem das Teewasser den Siedepunkt erreicht hat. Einige schwere Tropfen lösen sich aus dem Dampf heraus und fallen lustlos auf die monochrom karierte Plastiktischdecke, auf der die gleiche erntefrische rötliche Zwetschge hundertfach geklont wurde.
»Und hier stoßen wir bereits auf das erste technische Problem: Dollar oder andere Valuta haben die wenigsten unserer Kunden. Das heißt, dass wir den Alkohol in Wertgegenstände umtauschen müssen. Diese Wertgegenstände können wir aber nur schwer über die Grenze bringen«, gibt der Dondușenier Spekulant Tutunaru zu bedenken, kämpft gegen einen Hustenreiz an und dreht das Gas in dem Kocher ab.
Vadim der Maler greift nach einer Dose, entnimmt ihr einen Block Blättergewirr, das im Vakuum für die Ewigkeit zu einem Klumpen aneinandergesaugt wurde, und drischt beharrlich mit dem Nacken der Axt, die ihm der promovierte Historiker Roma Flocosu wortlos reicht, so lange darauf ein, bis das ziegelsteinförmige Produkt, getauft auf die Bezeichnung » TEE . Georgisch. Extra«, schließlich vor dem nach Terpentin, geräucherter Doktorenwurst und sowjetischem Rasierwasser duftenden Vadim kapituliert. Während dieser Prozedur sagt er:
»Darum kümmern wir uns, wenn wir die Wertgegenstände haben. Zunächst einmal sollten wir bei Ilytsch nachsehen, wie es mit der Schnapsproduktion aussieht und wie viel Samagon überhaupt zum Verkauf freisteht.«
»Dann fahre ich gleich mit einer kleinen Ladung Samagon nach Corbu und besorge erst mal was zu essen für die nächsten Tage und ein wenig Benzin«, meint Tutunaru dazu.
Danach bereitet er den georgischen Tee vor, den Vadim der Maler von den Bibilaschwili-Brüdern mitgebracht hat, lässt ihn ziehen, bis sich das Wasser in den Tassen undurchdringlich schwarz gefärbt hat, und lässt dann mit der Spitze eines Kreuzschraubenziehers fadenweise Blütenhonig in die Tassen hinabgleiten, während er sich überlegt, dass es nicht schlecht wäre, irgendwo ein Italienischlehrbuch aufzutreiben.
Vadim der Maler schaut verträumt ins Nichts, als hätte er den Gedanken des Dondușenier Spekulanten lesen können, führt seine Tasse Tee zu den Lippen und bemerkt leise, wie zu sich selbst:
»Wir können von Glück reden, dass wir keine Konkurrenz haben!«
Hlebniks Cowboystiefel, unbeaufsichtigtes Vieh und ein Borsalino
3 Stunden später.
Es ist heiß zum Verblöden.
Der Ewig Hungrige Historiker Roma Flocosu sitzt aufrecht auf einer Bohle, die in zwei Holzbalken festgenagelt über dem Waldboden des Dondușenier Forstes schwebt, und gibt sich redlich Mühe, nicht an die Leiche zu denken.
Der »Karpaten 202-1«-Kassettenrekorder, den Wladimir Pawlowitsch Pușcaș anlässlich seiner Ernennung zum Helden der sozialistischen Arbeit von Zuckerfabrikdirektor Hlebnik seitens des Werkkollektivs der rayonalen Zuckerfabrik von Dondușeni persönlich überreicht bekommen hatte, hängt an einem langen, dicken, öligen Haken hinter Roma Flocosu in der überdachten Scheune, Ilytschs ausgelagerter Schnapsbrennstation. Aus dem Kassettenrekorder des Iwanofrankowsker Radiokombinats ist die verrauchte Stimme Dieter Bohlens zu hören, der mit viel Hingabe My bed is too big singt.
Flocosu schlürft aus seinem schlohweißen Metallkännchen, auf dem der Aufdruck des sowjetischen Weltraum-Magellan Jurij Gagarin über der dicken kyrillischen Aufschrift »12. April 1961. U d SSR . Unser Mann im Kosmos.« selbstbewusst-sympathisch schmunzelt, eine trübe Flüssigkeit, die verdächtig nach dem heimischen Antischuppenshampoo »Sadko, reicher Kaufmann« riecht. Nach einer Weile legt der Akademiker die Gagarin-Tasse auf die Bohle ab und betrachtet den 1500-Liter-Alkoholbottich neben sich. Den Tank hat Flocosu schon vor einer Woche gesehen, voll, ehe Vadim der Maler die Italien-Papiere bei Arapu im Ministerium angefragt und einen Großteil des Schnapses mit der Lkw-Zisterne abgeholt hat. Jetzt ist der Bottich lediglich zu einem Sechstel mit Alkohol gefüllt, jedoch in diesem Zustand nicht minder anmutig: Durch die dicke durchsichtige Membran schimmert die nordmoldawische Sonne neckisch hindurch. Matt im oberen Teil des Alkoholbottichs. Und dort, wo der
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