Zuckerleben: Roman (German Edition)
wurde. Der Pfeil des Wegweisers zeigt auf Bulibaschas Residenz, eine 25 Meter hohe achteckige Windmühle von wahnwitzigen Dimensionen, mit Erdwall und Cohiba-farbenen, rotierenden Flügeln; auf der Rückseite der leicht angeschrägten Kappe des EL GITANO erweckt eine Windrose, die sich ebenfalls im Wind dreht, den Eindruck, als würde sie zusammen mit den rotierenden Cohiba-farbenen Mühlenflügeln Bulibaschas EL GITANO von einem Augenblick auf den anderen in die Lüfte heben können.
Der Sechs-Etagen-Block der Stadtverwaltung von Otaci im Hintergrund wirkt auf jeden Fall niedriger als Bulibaschas dreistöckige Windmühle.
»Außerdem, bei dem Wetter ist es eh angenehmer, draußen zu arbeiten. Deswegen habe ich mir provisorisch für heute mein Büro hier eingerichtet.«
Mihailytsch nickt und betrachtet in der Spiegelung von Bulibaschas Sonnenbrille den Außenlift des linken Mühlenflügels.
Der Lift setzt sich in Bewegung. Ein Roma mit Hut und Schürze tritt aus dem Aufzug heraus, geht auf die beiden zu, erreicht sie nach einer Weile, stellt lakonisch ein Tablett mit einem eleganten dunklen Geschenk-Täschchen mit Chanel-Logo, einem Tonkrug mit Milch und einer gekühlten Flasche Tuborg auf den Tisch, an dem der Bulibascha von Otaci mit Mihailytsch sitzt, nickt höflich und verschwindet wieder.
Das ist wohl mein Geschenk, denkt sich Mihailytsch, als er das Täschchen sieht.
»Natur pur«, kommentiert der Bulibascha und reißt Mihailytsch aus seinen Gedanken heraus.
»Natur pur?«
»Die Milch.« Bulibascha macht eine kurze Pause und setzt fort: »Kennst du die Redewendung: ›Du bist, was du isst‹, Mihailytsch?«
»Ja, kenn ich.«
»Und?«
»Na ja. Da ist was dran … Die emotionale Befindlichkeit eines Tiers wirkt sich auf sein Produkt aus. Nimm ein Ei zum Beispiel. Wenn ein Huhn glücklich ist, viel Auslauf und ein Rundum-Wohlgefühl hat, dann ist sein Ei auch viel gesünder, es schmeckt besser, hat eine bessere Farbe, ist größer und tut dir, als demjenigen, der das isst, gut. Ein Fabrikhuhn-Ei hingegen ist der materialisierte Ausdruck einer tragischen GULAG -esken Massentierhaltungsexistenz. Die Hühner liegen dort übereinander, können sich nicht richtig bewegen, werden Stress, Schmutz und einer medikamentösen Behandlung ausgesetzt. All diese Informationen und Schadstoffe werden im Fabrikhuhn-Ei gespeichert und an den Bürger, der es im UNIVERSAM kauft, weitergegeben. Deswegen. Man muss bei den heutigen UNIVERSAM -Produkten auf seine Gesundheit aufpassen. Weil. Was sie da den armen Tieren für einen Müll reinpanschen! Und dein Körper bekommt das alles ab, in voller Stärke. Heutzutage denken die meisten Leute bei uns nur daran, dass sie das Billigste kaufen, wenn es etwas zu kaufen gibt. Über die Qualität denken sie gar nicht nach. Ist ja auch schwierig, jetzt in der Krise auch noch daran zu denken.«
Tudorel-Deomid lächelt Mihailytsch an und nickt, ist offensichtlich mit Mihailytschs Sicht der Dinge einverstanden.
»Richtig. Und was ist die Alternative?«
»Die Alternative? Eigenanbau. Eigenanbau ist die einzige Lösung. Weil. Nur wenn du selbst weißt, dass du die Milch von deiner gut umsorgten Kuh bekommst, kannst du dir über die Qualität sicher sein und das Produkt richtig genießen.«
»Genau so ist es, Mihailytsch«, der Bulibascha führt den Tonkrug zu seinen Lippen, nippt daran und korrigiert sich schmunzelnd: »Ist eigentlich Ziegenmilch. Ich lasse neuerdings unsere Ziegen zweimal am Tag massieren.«
Mihailytsch gestikuliert mit seiner Bierflasche.
»Warum das?«
»Damit sie sich besser fühlen und bessere Milch geben – Gesundheit hat Vorrang.«
»Apropos Gesundheit. Wie geht es eigentlich den Nieren, Bulibascha?«
Tudorel-Deomid Balmus seufzt laut und zuckt mit den Schultern.
»Ach, wie soll’s denen gehen. Mal gut, mal schlecht. Es schwankt so. Aber im Moment geht’s eigentlich ganz gut …«
»Das ist schön.«
»Wir haben jetzt wieder eine Bestellung aus Deutschland abgefertigt, 35 moldawische Nieren à 130 000 D-Mark das Stück.«
»Das ist doch schön!«
»Tja, könnte besser sein. Aber die Deutschen sind zuverlässig und zahlen pünktlich, das muss man ihnen lassen. Auch wenn dieser Klaus, der Zwischenhändler aus Darmstadt, schon ein bisschen profitgierig ist, gell. Aber trotzdem. Es ist Krise. Die Leute in den Dörfern spenden gerne eine Niere, bekommen ein paar Tausend Dollar dafür, können mit dem Geld eine Zeit lang auskommen. Und ich auch. Kann
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