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Zuckermacher 01 - Die Schwester der Zuckermacherin

Zuckermacher 01 - Die Schwester der Zuckermacherin

Titel: Zuckermacher 01 - Die Schwester der Zuckermacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Hooper
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sollte. Dann legte sich Sarah ins Bett und verschlief fast den Rest des Tages, und ich machte das Geschäft auf (verkaufte allerdings nur wenig). Ich fand einen Bleistiftstummel und vertrieb mir die Zeit damit, eine Liste der Leckereien zu erstellen, die wir machen würden, und der Zutaten, die wir für unser Unterfangen kaufen mussten. Weil ich wusste, dass Sarah wieder gesund werden würde, weil ich an Tom dachte und weil es uns - abgesehen davon, dass wir unsere geliebte Miau verloren hatten -gut ging, war ich ziemlich zufrieden.
    Doch in dieser Nacht hörte ich ihn zum ersten Mal.
    Den Totenkarren.
    Es erklang das Geräusch von Rädern, die langsam über das Kopfsteinpflaster rollten, und ich ging zum Fensterladen, um hinauszusehen, weil es in letzter Zeit kaum Verkehr vor unserer Tür gegeben hatte.
    Was ich erblickte, war ein großer Bauernkarren, genau wie der von Bauer Price, mit dem ich nach London gefahren war. Vorn saßen zwei Männer, unheimlich aussehende Gestalten mit langen schwarzen Mänteln und ohne Hut, die in der Dunkelheit brennende Fackeln hochhielten. Doch der Karren war nicht mit Heu beladen, sondern die Ernte, die er eingefahren hatte, bestand aus Leichen: etwa zwanzig von ihnen, in Leichentücher gewickelt oder in zugeknotete Totenhemden verpackt. Zwei oder drei waren gänzlich nackt, und ihre Glieder schimmerten blass im Licht der Fackeln.
    »Bringt eure Toten raus!«, riefen sie und läuteten eine Glocke. »Bringt eure Toten raus!«
    Unter meinen entsetzten Augen ging die Tür eines der Häuser gegenüber auf, und ein alter Mann rief den Fahrern etwas zu. Darauf ging einer von ihnen hin. Er hielt etwas in der Hand, das aussah wie ein Hirtenstab, machte einen Schritt ins Haus, stieß den Teil des Stabes mit dem Haken hinein und zog den leblosen Körper einer alten Frau im Nachthemd heraus. Er rollte über die Schwelle und weiter auf den Boden, was dem alten Mann einen verzweifelten Aufschrei entriss.
    Der hintere Teil des Karrens wurde herabgelassen, und die Männer zogen und schoben den Körper mit ihren Haken, bis er irgendwie auf dem Karren landete. Dabei lösten sich die langen grauen Haare der armen Leiche und das Nachthemd rutschte hoch, so dass die runzligen weißen Glieder dem Anblick der Welt preisgegeben waren.
    Ohne ein Wort an denjenigen zu richten, der allein auf der Schwelle stand, packten die Männer ihre Haken weg, nahmen ihre Plätze wieder ein und fuhren los. Ich sah zu, wie sie die Straße hinabfuhren, und lauschte ihrem Ruf: »Bringt eure Toten raus!«, bis die Worte und das Geräusch der Karrenräder in der Ferne verklangen.
    Als ich wieder ins Bett kroch, hätte ich Sarah am liebsten geweckt, um jemandem von diesem fürchterlichen Anblick erzählen zu können. Doch ich tat es nicht, denn ich fand, dass sie für heute genug mitgemacht hatte. Stattdessen lag ich im Dunkeln, ließ mir alles durch den Kopf gehen, was ich gesehen hatte, und bildete mir ein, in meinem Inneren Tausende von latenten Anzeichen der Pest zu spüren, die nach und nach von mir Besitz ergriffen. Würden wir überleben?
    Warum sollten gerade wir überleben, wenn doch so viele andere starben?
    Wie billig mir das Leben vorkam. Und wie beliebig.
    Bringt eure Toten raus... Bis zum Morgengrauen gingen mir diese Worte unaufhörlich durch den Kopf.

  
       

Die zweite Augustwoche
      
    »Die Menschen sterben jetzt in solchen Mengen, dass Beerdigungen von Pesttoten auch tagsüber stattfinden, die Nächte reichen nicht mehr aus.«

Es war uns gelungen, alle Zutaten zu besorgen, die wir für unser neues Unterfangen brauchten, und wir verkauften jetzt also kandierte Kerbel-und Engelwurzstäbchen, Kräuterkonfekt mit Rosmarinblättern und Kümmelkörnern sowie kandierte Knoblauch-und Rosmarinblüten. Wir hatten ebenfalls Pastillen aus Raute zubereitet, die wir zusammen mit Kümmelkörnern klein gehackt und mit Zucker und Rosenwasser vermischt hatten. Von diesem Kraut, der Raute, hatten wir zwar nicht gehört, dass es ein Mittel gegen die Pest sei, doch sein alter Name war Gnadenkraut, und Sarah meinte, dass alles, was diesen Namen trug, bestimmt half. Zudem war ein Kräuterhändler mit Blumen und Kräutern an unsere Tür gekommen und hatte uns einen großen Strauß Raute sehr günstig überlassen.
    Es war uns gelungen, alle Zutaten zu besorgen, die wir für unser neues Unterfangen brauchten, und wir verkauften jetzt also kandierte Kerbel-und Engelwurzstäbchen, Kräuterkonfekt mit Rosmarinblättern und

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