Zuckermacher 01 - Die Schwester der Zuckermacherin
Mund. »Nun, man erzählt sich, dass ein Pfeifer - ein ganz gewöhnlicher Musikant - bewusstlos auf der Straße lag, weil er so viel getrunken hatte. In der Nacht kam der Totenkarren, und weil die Fahrer ihn für tot hielten, nahmen sie ihn mit ihren Haken und warfen ihn auf den Wagen voller Leichen. Er wurde unter noch mehr Leichen begraben, doch das Ruckeln des Wagens weckte ihn genau in dem Moment auf, als sie bei der Grube ankamen, und er setzte sich hin und fing an, auf seinem Dudelsack zu spielen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.«
Mr. Newbery unterbrach sich kurz, um lautstark an seinem Konfekt zu lutschen. »Die Fahrer des Karrens konnten ihn im Dunkeln nicht sehen, sondern hörten nur gruselige Musik, die aus der Wagenladung voller Leichen kam. Sie bekamen einen Riesenschreck, weil sie dachten, sie hätten den Teufel höchstpersönlich auf ihren Karren geladen.« Er lachte herzhaft und fragte dann: »Na, was sagt Ihr dazu?«
Ich lächelte, wusste jedoch in Wirklichkeit nicht, ob ich lachen oder weinen sollte.
»Wahrlich, das Schreckgespenst des Todes sieht uns allen ins Angesicht!«, schloss Mr. Newbery vergnügt und ging.
In dieser Nacht hatte ich einen furchtbaren Albtraum. Ich war lebendig, doch ich lag in einer Pestgrube unter vielen Leichen begraben, und ihr Gewicht drückte mich derartig nieder, dass ich mich nicht rühren konnte und kaum noch Luft bekam. Etwas - ein widerlich stinkendes Stück totes Fleisch - war ganz nah an meinem Mund, und ein Toter hielt mein Haar so umklammert, dass ich den Kopf nicht drehen konnte, um meine Kräfte zu sammeln und zu schreien. Ich hatte keine Ahnung, wie weit unten ich mich in dem Leichenhaufen befand, und wusste, ich würde ersticken, wenn ich es nicht schaffte, mir mit bloßen Händen meinen Weg durch sie hindurch zu graben und an die Oberfläche des Haufens zu gelangen.
Mein Albtraum endete, als ich bei meinen Bemühungen, nach oben zu kommen, um mich trat und Sarah traf. Sie weckte mich, indem sie mich an der Schulter rüttelte und meinen Namen rief. Sarah schlief schnell wieder ein, doch ich lag noch lange wach und wünschte mir, Miaus kleiner Körper würde am Fußende des Bettes liegen und mir Trost spenden. Ich fragte mich, wann die Totenliste endlich einen Rückgang der Pest anzeigen würde und wir wieder ein normales Leben führen könnten.
Am nächsten Morgen kam Abby vorbei, um ein paar Leckereien zu kaufen, weil ihre Herrin Lust auf etwas Leichtes und Delikates hatte, das ihren Appetit anregen sollte. Wir hatten zurzeit keine kandierten Veilchen oder Rosenblüten, also gaben wir ihr stattdessen kandierte Engelwurz und ein paar kandierte Orangenscheiben. Sarah zufolge waren sie gut für Kranke, und wir hatten sie, ebenso wie die Engelwurzstäbchen, gemacht, indem wir sie drei Mal in Zuckerwasser hatten aufkochen lassen.
Abby hatte eine Duftkugel voller Kräuter und Blumen dabei, an der sie immerzu roch, und sie hatte sich ein paar blaue Blumen hinters Ohr gesteckt. Sie sagte, es seien Kornblumen, die sie als Vorbeugungsmaßnahme gegen die Pest trage, doch sie sahen so gut aus - das Blau vor dem Hintergrund ihrer dunklen Locken —, dass ich mir vornahm, mir auch welche zu besorgen und sie zu tragen.
Während Sarah die kandierten Orangenscheiben abwog, standen wir plaudernd bei der Tür. Es fiel uns auf, wie seltsam es war, dass man jetzt freie Sicht hatte, wenn man die Straße hinauf-und hinabblickte. Abgesehen davon, dass weder Menschen noch Fuhrwerke unterwegs waren, gab es auch keine Katzen, Hunde, Schweine oder Ziegen mehr. Tatsächlich war so wenig los, dass Gras und Unkraut anfingen, zwischen den Pflastersteinen zu sprießen.
»Geht es deiner Herrin immer noch nicht gut genug zum Reisen?«, fragte ich Abby.
Sie schüttelte den Kopf. »Es geht ihr besser, aber sie fürchtet sich vor der langen Reise und dem Gerüttel und Geschüttel auf der Fahrt«, sagte sie und sah die Straße entlang. »Sind denn hier alle gesund? In Sichtweite sind ja Gott sei Dank nicht viele verschlossene Häuser.«
»Hier um die Ecke sind zwei erst kürzlich versiegelt worden«, sagte ich. »Und eine Frau, die unsere Kundin war, ist heute Morgen in ein Pesthaus gebracht worden.«
Abby schüttelte den Kopf. »Ich bin gerade am Exchange vorbeigegangen. Als ich einen Blick hineinwarf, habe ich kaum jemanden dort gesehen. Und überhaupt keine vornehmen Leute.«
Noch bevor ich hierauf antworten konnte, fuhr sie fort: »Stell dir vor, als unsere Köchin
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