Zuckermacher 02 - Aschenblüten
und ließ sie fallen, denn hier war niemand, der sich an mich erinnern könnte.
KAPITEL 6
Nelly Gwyn
»SAH NELLY GWYN IN HEMDSÄRMELN UND MIEDER VOR DER TÜR IHRER UNTERKUNFT IN DRURY LANE STEHEN SIE SAH SEHR HÜBSCH AUS.«
In der ersten Zeit, nachdem ich von Toms Tod erfahren hatte, war ich keine gute Gesellschaft für Anne, weil ich so voller Trauer war, dass ich zu einer harten Lehrmeisterin wurde. Ich schlief schlecht, stand vor dem Morgengrauen auf, arbeitete von früh bis spät, machte nachts bei Kerzenschein weiter und erwartete dasselbe von ihr. In der ersten Zeit, nachdem ich von Toms Tod erfahren hatte, war ich keine gute Gesellschaft für Anne, weil ich so voller Trauer war, dass ich zu einer harten Lehrmeisterin wurde. Ich schlief schlecht, stand vor dem Morgengrauen auf, arbeitete von früh bis spät, machte nachts bei Kerzenschein weiter und erwartete dasselbe von ihr.
Ich konnte es kaum fassen, dass ich Tom für immer verloren haben sollte. Meine Freundin Abby hatte ich, als die Pest sie befallen hatte, Tag für Tag schwächer und elender werden sehen. Dass sie sterben musste, erschien mir schließlich unausweichlich. Doch Tom... Als ich ihn zuletzt sah, war er stark, gesund und tapfer gewesen und hatte mir Kusshände zugeworfen, während unsere Kutsche sich von London entfernte. Wie konnte er jetzt tot sein?
Nachts lag Anne friedlich schlafend neben mir, und ich lag wach da und konnte nicht aufhören zu grübeln, auf welche Art er gestorben sein mochte. Ich hatte gesehen und gehört, dass die Pest viele verschiedene Formen annehmen konnte: Sie konnte so schnell und brutal verlaufen, dass die Kranken tot waren, ehe sie Überhaupt bemerkten, dass sie sich angesteckt hatten; sie konnte schmerzhaft sein, sich aber Über eine so lange, zermürbende Zeit hinziehen, dass die Leidenden fast schon glaubten, dass sie die Pest Überleben würden; sie konnte aber auch so langwierig und unerträglich sein, dass ihre Opfer mit dem Kopf gegen die Wand rannten, um endlich Frieden zu finden.
Welchen Tod war Tom gestorben?
Und wieder erfuhr ich den Schmerz, kein Grab zu haben, das ich besuchen konnte. Nachdem unsere Großmutter in Chertsey gestorben war, gingen wir mehrmals im Jahr zum Friedhof, um Blumen auf ihr Grab zu legen oder es - an ihrem Geburtstag - mit ausgeschnittenen Bildern und schwarzen Bändern zu schmücken. Es wäre ein großer Trost für mich gewesen, wenn Tom ein Grab gehabt hätte, denn ich hätte Herzen aus Papier und Blumen hingebracht und mich an sein Grab gesetzt und ihm erzählt, was mir auf dem Herzen lag. Doch ich konnte nirgendwo hingehen und mich nicht neben einen grasbewachsenen Grabhügel setzen, und als ich bei der Gemeindekirche Erkundigungen einzog, sagte man mir, dass Tom und Doktor da Silva in ein Pesthaus in eine andere Gemeinde gebracht worden seien, als sie sich mit der Pest ansteckten. Dort sagte man mir, sie seien gestorben und ihre Leichen in der Pestgrube gelandet. Es war nicht einmal bekannt, um welche Pestgrube es sich handelte, man wusste nur, dass sie sich vor den Stadttoren befand.
Nachdem ich zwei Wochen lang von früh bis spät betrübt war, setzte Anne meiner finsteren Stimmung jedoch ein Ende, indem sie mir mitteilte, dass sie nach Chertsey zurückwolle.
Wir hatten das Geschäft gerade geschlossen, und ich hatte sie angewiesen, Zucker für die Leckereien des nächsten Tages zu zerstoßen, ohne auch nur zu bemerken, wie abgespannt und unglücklich sie war.
»Hannah«, sagte sie mit einem Mal, »ich erkenne dich nicht mehr wieder. Du bist trübselig und vergrämt, und ich erkläre hiermit, dass ich nach Hause möchte.«
Ich konnte es kaum fassen. »Aber warum denn? Was sagst du denn da für Sachen?«
»Ich weiß, dass du deinen Liebsten verloren hast, und ich habe den Mund gehalten, weil ich dachte, deine Übellaunigkeit würde vergehen, aber es sieht ganz so aus, als würde es immer schlimmer und als würdest du von Minute zu Minute trübseliger«, sagte sie herausfordernd. »Ich hatte geglaubt, dass wir uns hier in London prächtig miteinander amüsieren und es genießen würden, zusammen zu sein und gemeinsam auf Jahrmärkte und ins Theater zu gehen, aber ich tue nichts anderes, als Tag und Nacht Zucker zu zerstoßen - und zu allem Überfluss meckerst du ständig herum, weil ich es nicht gut genug mache.«
Ich sah sie Überrascht an. Diese Worte waren so untypisch für Anne, dass ich vermutete, sie sagte sie sich schon seit Tagen in Gedanken immer
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