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Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Titel: Zuckerpüppchen - Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Hassenmüller
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Rosen.”
    “Nein”, sagte Hubert, nachdem der Aal in einer feinen Sahnesoße serviert war, “ich weiß immer noch nicht, was ich will. Mir ist bewußt geworden, daß ich doch eigentlich einiges bei dir vermisse.” Er winkte dem Ober ab und schenkte ihr selbst ein Glas weißen Bordeaux ein. “Trotzdem, auf unser Wohl.” Sie trank. Sie nahm einen Bissen von dem Aal. Sie konnte Aal nicht mehr vertragen, zu fett. Sie nahm einen weiteren Bissen. “Was hast du vermißt?” Sie würde nie im Leben wieder Aal mit Sahnesoße essen. Darum hatte sie ihn heute bestellt. “Wenn ich darüber nachdenke: Du hast mir abends nie einen Schnaps eingeschenkt. Fünfzehn Jahre lang habe ich mir meinen Schnaps selber einschenken müssen.” Sie sah ihn verblüfft an. “Ich dachte, das tust du gerne. Du hast nie gesagt, daß du das von mir erwartest.”
    “Das ist es ja gerade”, sagte Hubert, während er ihr mit der Vorlegegabel noch ein weiteres Stück Aal auf den Teller legte. “Wenn du eine aufmerksame Frau gewesen wärst, hättest du es angeboten.” Sie schwieg, sah auf ihren Teller. So ein Aal sah aus wie eine Schlange. All die Schlangen waren herausgebrochen aus der Grube, sie hatte sie nicht mehr zurückhalten können. Sie hatten ihr Leben vergiftet, sie ausgehöhlt und aufgefressen, um nun wieder gefressen zu werden.
    “Und dann meine Krawatten.” — “Deine Krawatten?” Hubert hatte schöne Krawatten. Hin und wieder hatte Gaby ihm eine geschenkt, reine Seide, mit dezentem Muster. Aus Südamerika hatte er auch oft Krawatten mitgebracht, apart bedruckt. Wenn er abends von der Firma nach Hause kam, lockerte er noch im Gang den Knoten und hängte sie an die Garderobe. “Du hast nie meine Krawatten aufgeräumt. Du hast sie immer an der Garderobe hängen lassen.” Das stimmte. Sie hatte seine verschiedenen Sakkos über den Arm genommen, sie ausgebürstet, an die Luft gehängt, dann zurück in den Schrank. Aber an die Krawatten hatte sie nicht gedacht. “Ist das schlimm?” fragte sie. “Ich meine, ich habe sie gar nicht gesehen. Es hängt immer soviel da, die Kinderanoraks, Regenmäntel, Blazer, ich habe deine Krawatten nicht gesehen.” — “Genau das sage ich ja.” Ein Stückchen Aal blieb in seiner Mundecke hängen und tropfte eine weiße Sahnespur auf sein Kinn. Dezent tupfte er die Tropfen mit der gestärkten rosa Serviette ab. “Schmeckt es dir?” — “Ausgezeichnet”, sagte sie und begann zu würgen. Sie stand gemessen auf und ging zur Toilette. Als sie sich übergeben hatte, den Mund ausgespült und das Augen-Make-up erneuert, blieb sie noch einen Moment vordem Spiegel stehen. Man sah ihr nichts an. Warum sah man ihr nie etwas an? Sie kämpfte ums Überleben, und sie sah noch immer gut aus. Sie war in Todesangst, und er kam mit dem Schnaps, den sie nicht eingeschenkt hatte. Und der Krawatte, die sie nicht aufgeräumt hatte. Sie hatte nie von sich behauptet, daß sie vollkommen sei. Sie ließ schon mal einen Topf in der Spüle stehen oder übersah etwas, das hätte aufgeräumt werden müssen. Aber gibt man deswegen eine Ehe auf? Sie fragte ihn. Er hatte mit dem Boeuf Stroganoff gewartet, bis sie von der Toilette zurückkam und legte ihr das Fleisch auf den Teller. “Nein”, sagte Hubert, “deswegen wohl nicht. Aber ich weiß eigentlich nicht, ob ich dich noch liebe.”
     
    Sie hatte nichts mehr, wohin sie sich flüchten konnte. Seit der Bombe gab es keine grünen Wiesen mehr mit weidenden Lämmern. Verbrannte Erde! Ihre Alpträume waren Wirklichkeit geworden.
    Sie hatte sich ein Paar Krücken gezimmert, auf denen sie von Tag zu Tag weiterhumpelte. Ein Paar Krücken bedeuteten die Kinder. Jeden Tag für die Kinder sorgen, daß sie saubere Kleidung anhatten und abends ein warmes Essen auf dem Tisch stand. Das erforderte viel Mühe. Unsagbar viel Mühe. Sie mußte die Waschmaschine füllen, weiße und bunte Wäsche trennen, das richtige Waschprogramm wählen. Essen kochen war noch schlimmer. Sie mußte Einkäufe machen. Seit der Bombe zitterte sie mehr als je zuvor. Und neuerdings fiel sie in Ohnmacht. Ohne weitere Ankündigung wurde ihr schwarz vor Augen, und sie sackte in sich zusammen. Wenn sie wieder zu sich kam, meistens schon nach wenigen Minuten, beugten sich unbekannte Köpfe über sie. “Sollen wir einen Krankenwagen bestellen?” — “Ein Glas Wasser vielleicht?” — “Gibt es jemanden, den wir benachrichtigen sollen?” Sie wehrte ab, stand mühsam auf, weil die Köpfe ihr Angst

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