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Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Titel: Zuckerpüppchen - Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Hassenmüller
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winkte ihm immer zu. Morgens stand sie am Fenster, den dünnen Morgenmantel an, die Haare gekämmt, schnell noch ein wenig Farbe auf die Lippen. Mittags stand sie in der Tür, winkte ihm zu, bis er mit dem Auto um die nächste Ecke gebogen war. Er lächelte strahlend, gab ihr sein Kopfnicken, das irgendwie beruhigend wirken sollte, und hob auch ein paarmal die Hand zum Gruß. Und immer, wenn sie ihn nicht mehr sah, wenn sie die Tür langsam schloß, fühlte sie, daß sie eines Tages so da stehen und wissen würde: Das war das letztemal. Jetzt kommt er nicht mehr zurück. Und dann schüttelte sie sich und versuchte den Gedanken zu verdrängen, zu den anderen zu schieben, die in der Kategorie Wahnvorstellungen untergebracht waren.
    War das heute dieser Tag?
    “Es wird schon gutgehen”, sagte Ingrid in ihre Gedanken hinein. “Ein so besonderer Mann, der läßt sich nicht unterkriegen. Du hast doch gehört, wie wichtig der Wille ist, um zu leben.”
    Ja, zusammen mit Ingrid hatte sie den Ausführungen eines Doktors gelauscht. Das Herzzentrum Utrecht führte die schwersten Herzoperationen schon beinahe routinemäßig durch. In einer Informationsstunde für die Angehörigen wies dieser Arzt auf die andere Komponente der Operation hin. Was es bedeutete, sechs Stunden oder länger unter schwerer Narkose zu sein, angeschaltet an eine Herz-Lungenmaschine, nach der Operation nicht imstande zu sein, allein zu atmen, Tage auf der Intensivstation. “Viele Patienten”, erklärte der Mediziner, “sind, wenn sie wachwerden, besonders aggressiv. Wundem Sie sich nicht, wenn Ihre Männer”, er wandte sich an den einzigen Ehemann aus der Gruppe, “oder Ihre Frau, plötzlich beginnen, Sie zu beschimpfen, mit Ihnen zu reden, wie Sie es sonst nicht gewöhnt sind. Das ist ganz einfach eine Reaktion auf die Narkose. Es scheint, als würde da eine Hemmschwelle abgebaut. Bitte, nehmen Sie es sich nicht zu Herzen. Wichtig ist vor allem, der Wunsch zu leben. Es zu schaffen. Dieser Wille muß beim Patienten vorhanden sein.”
    “Den Willen hat er bestimmt”, hatte Ingrid ihr zugeflüstert. “Aber das andere kann ich mir von Hubert nicht vorstellen. Oder glaubst du, daß er dich anfahren würde? Dir gegenüber aggressiv wird?” Gaby dachte an Huberts gleichbleibende Freundlichkeit. Auch wenn er verärgert über sie war. Wie damals bei der Sache mit dem Besuch seiner Kinder. Oder wenn im Handstein noch ein angesetzter Topf zum Weichen stand. Oder wenn sie dann doch nicht das Gemüse im Angebot gekauft hatte. Oder das frische Brot angeschnitten hatte, während noch ein Knust von gestern da war. Alles Dinge, über die er sich schrecklich ärgern konnte, aber nie war Hubert aggressiv oder laut geworden. Er konnte sie ansehen, daß sie sich von innen ganz leer fühlte, so, als betrachte er ein Wesen, das doch wirklich von nichts eine Ahnung hatte. Aber, na ja, er, Hubert Gerken, war bereit, es auf seine Fehler und Schwächen hinzuweisen, freundlich, bestimmt, aber ganz sicher nie aggressiv. Wer schreit, hat immer unrecht, hatte er ihr ans Küchenbrett geheftet. Und er schrie nie...
    “Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht, wenn er mal richtig böse auf mich werden würde”, sagte Gaby. “Ich meine, das zeigt doch Gefühl. Nur Gleichgültigkeit ist tödlich.” — Mutti war auch nie böse auf sie geworden. Sie hatte nur die Hand von ihr weggezogen. Sie hatte sie alleingelassen, sich von ihr abgewandt.
    “Aber Hubert betet dich doch an!” Ingrid war deutlich konsterniert. “Mein Gott, wenn mein Mann so aufmerksam und zuvorkommend wäre wie dein Mann. Weißt du, daß wir dich alle beneiden? Von so einem Mann kann man doch nur träumen!” Gaby nickte schuldbewußt. “Das weiß ich doch. Du mußt nicht alles auf die Goldwaage legen, was ich sage. Ich weiß, daß ich noch einmal Glück gehabt habe. Deswegen darf ich auch nicht daran denken, daß ihm etwas passiert. Ohne ihn kann ich nicht leben.” Ihre Stimme brach. Ingrid war zufriedengestellt. Diese anderen Töne paßten so gar nicht zu Gaby. Aber ja, die Nerven! “Das Schlimmste ist das Warten”, tröstete sie die Freundin. Gaby sah sie an und dann durch sie hindurch. Sah auf ein fernes, schwarzes Loch, das sie langsam anzog, unaufhaltsam. “Das Schlimmste”, sagte sie, “ist die Angst, was geschehen könnte. Nicht zu wissen, wovor man Angst hat. Die Angst frißt alles auf. Nichts, was wirklich geschieht, kann so schlimm sein, wie die Angst davor.”
    Sie war auf den Anblick

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