Zuckerpüppchen - Was danach geschah
es. Ihr Name auf einem Buch. “Komm, zeig mal.” Ingrid konnte ihre Neugier nicht mehr bezwingen. “Wie schön, daß du es gerade heute bekommst. So etwas ist doch kein Zufall. Ich meine, Hubert hat die Operation gut überstanden, und du bekommst dein erstes Buch.” — “Ich gratuliere dir”, sagte Jean und küßte sie auf die Wange. “Dies ist wirklich ein besonderer Tag.”
In ihrem Hotel angekommen, erledigte sie die notwendigen Telefongespräche, schickte ein Telegramm an Natalie. Aber als erstes rief sie seine Mutter an. Es dauerte eine Weile, bis sie zu Worte kam, weil Huberts Mutter erst ihrer Seele Luft machte, wie lange es gedauert hatte und wie sie in Sorgen war und ob sie sich wohl vorstellen konnte, was es bedeutete, als Mutter so lange in Ungewißheit zu sein.” — “Ich konnte nicht eher anrufen”, entschuldigte Gaby sich. “Ich komme gerade aus dem Krankenhaus. Und ich wollte doch noch mit dem Chirurgen reden, um zu wissen, wie alles gegangen ist. Sie haben die Herzklappe reparieren können.” Ja, das sei wunderbar, bestätigte sie seiner Mutter und fragte sich, warum sie davon nicht so überzeugt war, und es ginge Hubert den Umständen entsprechend, und er sei schon wieder bei Bewußtsein gewesen. Ja, er habe sie erkannt. “Wenn ich doch bei meinem Sohn sein könnte”, seufzte seine Mutter, und es klang dramatisch. Gaby hatte Mühe, nichts darauf zu antworten. Sie hatte es ihr selbst angeboten. “Du könntest bei mir im Hotel wohnen. Und nach der Operation bist du dann gleich bei Hubert.” — “Mit dir im Hotel? Während Hubert im Krankenhaus liegt?” Sie hatte ihren gut frisierten Kopf geschüttelt. “Nein, ich glaube nicht, daß ich das ertragen kann. Eine Mutter will bei ihrem Kind sein.” Gaby hatte ihre Hand auf die Hand von Huberts Mutter gelegt. “Das verstehe ich doch. Aber du bist dann die erste, die ihn danach wieder sehen kann.” — “Und wie sieht er dann aus? Alle möglichen schrecklichen Dinge um ihn herum, die ihm Schmerzen bereiten. Es würde mir das Herz brechen.” Sie zog ihre Hand fort. “Ich bin halt sehr sensibel, da berührt einen das alles mehr. Ich glaube nicht, daß du das verstehen kannst.” Gaby hatte zu Hubert gesehen, der während des Gespräches unberührt seine Zeitung weitergelesen hatte. “Ja”, hatte sie geantwortet, “du hast recht. Manche Dinge verstehe ich nicht ganz.” Sie hatte sich einen Ruck gegeben. “Aber du mußt das tun, was du für richtig hältst. Ich rufe dich auf jeden Fall sofort nach der Operation an.”
“Würdest du bitte die Kinder noch rufen”, bat sie jetzt, “ich möchte ihnen selbst sagen, daß es ihrem Vater gut geht.” Sie hörte die Jungens zum Telefon laufen und ein wenig außer Atem “Ja, Mammi, bist du da!” rufen. So fröhliche Stimmen. Mitten heraus aus ihrem Spiel. Sie war Cornelia in diesem Moment von Herzen dankbar, daß sie sie für die Zeit der Operation und des Krankenhausaufenthaltes aufgenommen hatte. Sie erzählte Daniel, daß alles gut gegangen war und daß ihr Vater schon gelächelt hatte. “Sprechen kann er noch nicht”, schloß sie, “sonst hätte er euch bestimmt viele Küßchen geschickt.” — “Viele Küßchen von uns”, krähte Alex ins Telefon. “Auch für dich, Mammi”, sagte Daniel, und seine Stimme klang ganz dunkel. “Geht es dir gut, Mammi?”
“Ja”, sagte sie, “es geht mir gut.”
Sie war überrascht, daß es ihr so gut ging. Natürlich war sie in Sorge, wie die nächsten Tage verlaufen würden, wann Hubert vom Sauerstoffgerät kommen konnte; natürlich hoffte sie, daß keine Komplikationen auftreten würden. Aber zum erstenmal hatte sie das Gefühl, daß sie stärker war als er. Sie versuchte, den Gedanken zu verdrängen, aber er kam immer wieder zurück. Zusammen mit dem Mitleid und dem beinahe schmerzhaften Gefühl ihrer Liebe zu ihm, waren da an seinem Bett auch diese Gedanke gewesen. Wenn er schwach ist, kann ich stark sein. Wenn er hilflos ist, kann ich etwas tun. Wenn er ausgeliefert ist, bin ich frei. Sie schüttelte den Kopf über sich und fragte sich, wie sie in diesen Stunden so etwas denken konnte. Und ihr wurde bewußt, daß sie ihn in den elf Jahren ihrer Ehe noch nicht schwach gesehen hatte. Einmal, bei der Geburt Daniels, hatte er geweint. Tränen des Glücks. Eine Sternstunde. Was er auch sonst für Gefühle an Glück, Wut, Haß und Enttäuschung hatte, er ließ davon wenig merken. Nur im Bett zeigte er Leidenschaft. Sie fragte sich, wie
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