Zuckerpüppchen - Was danach geschah
erzählten von der Schule oder vom Kindergarten. Und wenn sie sagten: “Mammi, ich find’ dich lieb” und: “Kommst du wirklich in zwei Tagen wieder zurück?” dann wurde sie warm von innen. Aber sie unterdrückte beinahe erfolgreich ihr schlechtes Gewissen. Es tat ihr gut, für sich selbst zu sein. Sie frühstückte ausgiebig mit Gitte, Achims Frau. Tagsüber bummelte sie ein wenig durch Hamburgs Innenstadt, kaufte für die Kinder und Hubert Geschenke. Und sie redete stundenlang mit Gitte. Sie hatte sie immer wie eine große Schwester geliebt. Die große Schwester, die sie nicht gehabt hatte. Gott sei Dank, denn dann wäre es der auch nicht anders als ihr gegangen. Gaby traute sich auch, mit ihr über ihre Eifersucht zu sprechen und sogar über den schrecklichen Verdacht, den sie immer wieder hatte. “Ursel?” sagte ihre Schwägerin, die ihre Freundin von verschiedenen Besuchen her kannte. “Aber Gaby, doch nicht Ursel! Wie kannst du das nur denken. Jede andere Frau vielleicht, aber doch nicht die grundsolide Ursel. Schau sie dir doch einmal an!” — “Meinst du wirklich?” Gaby seufzte beinahe erleichtert auf. “Hubert weist das ja auch ganz entschieden von sich.” Und leiser fügte sie hinzu: “Ich schäme mich so, daß ich gerade von meiner besten Freundin so etwas denke.” Gitte beugte sich zu ihr. “So mußt du das nun auch wieder nicht sehen. Du hast schon einiges in deinem Leben mitgemacht. Und du hast einfach Angst, das Liebste in deinem Leben wieder zu verlieren. Das ist kein Grund, sich zu schämen.” Ach, Gitte! Sie meinte es so gut. “Wenn wir doch dichter beieinander wohnen würden. Ich fühle mich bei euch so wohl. Ich fühle mich wie ein Kind. Nicht wie das Kind, das ich einmal war, sondern wie ein Kind, das noch keine Verpflichtungen hat. Das einfach da sein darf. Das geliebt wird, ohne dafür etwas tun zu müssen. Einfach, weil es da ist.” — “Stimmt es bei euch in der Ehe?” Gitte sah sie nachdenklich an. “Ich meine, bist du glücklich, Gaby?” Wie besorgt ihre Frage klang, so ehrlich und warm. Gaby fühlte, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten. Aber sie konnte doch nicht über die schrecklichen Dinge sprechen, die sich innerhalb ihres Schlafzimmers abspielten, die sie zermürbten und aushöhlten. Sie konnte doch auch nicht über ihre Wahnvorstellungen sprechen, abgebrochene Telefongespräche, fremde Gerüche, träumerische Blicke bei südamerikanischen Melodien. Das war doch alles zu kindisch. “Hubert hat eigenartige Vorstellungen über Treue”, sagte sie dann doch. “So hat er mir zum Beispiel vorgeschlagen, ich solle ruhig einmal fremdgehen. Das wäre gut für mich.” Gitte lachte ungläubig. “Das hat er doch nicht ernst gemeint. Kein Mann, der seine Frau liebt, will das. Vielleicht”, sie dachte wahrscheinlich an Huberts Operation, “hat er Angst, daß er impotent wird. Oder vielleicht hast du mit jemand geflirtet, und er wollte dir auf den Zahn fühlen.” Gaby schneuzte sich. Sie hätte beinahe gelacht. Hubert und impotent. Schön wäre es, dachte sie, aber wahrscheinlich würde sich dadurch nichts ändern. Sie hatte einmal gelesen, daß sogar Eunuchen, die erst nach der Pubertät kastriert worden waren, die gleichen Gelüste hatten wie zeugungsfähige Männer. Lust und Geschlechtsdrang, hatte da gestanden, ist etwas, das im Kopf stattfindet und nicht im Unterkörper. Und was das Flirten anging, natürlich flirtete sie hin und wieder, aber sie hatte schon im selben Moment einen Abscheu bei Huberts später folgenden Fragen: “Und, hat der dir nicht gefallen? Wäre das nicht jemand für dich? Der würde bestimmt nicht nein sagen, so geil wie der dich angesehen hat?” — “Das war nichts”, sagte sie dann. “Nichts, als ein wenig Schaumschlägerei.” — “Nein”, sagte sie zu Gitte, “Hubert kennt so ein niedriges Gefühl wie Eifersucht nicht.”
Abends saßen sie mit Achim zusammen, tranken einen süffigen Wein und redeten über Mutti, wie schwer ihr Leben gewesen war und warum sie sich nie von Anton getrennt hatte. Achim hatte noch Kontakt mit Pappi. Hin und wieder spielte er eine Partie Schach mit ihm, trank er bei ihm einen Cognac. “Findest du nicht”, sagte Gitte, die am liebsten um sich herum alles lieb und nett hatte, “findest du nicht, daß du den Zwist mit ihm beilegen solltest? Ich meine, er war doch der Mann deiner Mutter?” — “Und er hat für uns in den schweren Nachkriegsjahren gesorgt”, pflichtete Achim ihr bei. “Er
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