Zuckerpüppchen - Was danach geschah
Hubert. “Bis morgen mittag, mein Schatz. Ich backe morgen früh Zwiebelkuchen. Ich bringe dir dann ein Stück mit. Noch ganz warm.”
Auf dem Weg nach Hause, die beiden Freundinnen waren das kleine Stück von Gabys Haus bis zum Krankenhaus zu Fuß gegangen, atmete Gaby tief durch. “Ich habe überhaupt noch nicht bemerkt, daß Frühling ist. Wie warm die Luft abends noch ist.” Sie sah zu einem blühenden Rotdombaum. “Der blüht ja schon!”
Wie oft hatte sie als Kind am Fenster gestanden und in den blühenden Rotdornbaum geschaut, der genau vor ihrem Wohnzimmerfenster stand. Jeden Frühling wieder stand er da mit seinen unzähligen kleinen roten Blüten. Wie wunderschön er ist, hatte das Kind gedacht. Überdeckt mit Tausenden von Blutstropfen. Einmal im Jahr zeigt er für kurze Zeit, was in ihm steckt. Den Rest des Jahres steht er da mit staubig grünen Blättern, und niemand kann vermuten, welche Kraft und Leidenschaft in ihm brodelt. Warten, dachte das Kind, ich muß warten und Geduld haben. Jeder neue Frühling ist ein Jahr weiter. Ein Jahr näher hin zur Freiheit. Eines Tages ist das alles hier vorbei. Dann erst beginnt mein Leben. Dann kann ich zeigen, was in mir steckt.
Gaby blieb unter dem Rotdombaum stehen und sah in das Blütenmeer über sich. Die jungen Blätter waren noch saftig grün. Unter ihren Füßen vermoderten die Blätter des letzten Jahres. Auch aus ihnen sog der Baum neue Kraft. Aus dem Vergangenen wuchs das Neue. Das hieß aber auch, daß alles Neue das Alte in sich trug. Gab es kein Entrinnen?
“Du siehst müde aus”, sagte Jean und nahm sie am Arm. “Komm, ich habe Appetit auf eine Tasse Kaffee. Und für uns beide habe ich auch noch selbstgebackene Brötchen in meiner Tasche.”
“Warum, um Himmels willen, gehst du zweimal am Tag ins Krankenhaus? Du machst dich kaputt!” sagte Jean etwas später zu Gaby, als die das Brötchen ohne Appetit zur Seite schob.
“Ich kann ihn doch nicht im Stich lassen. Er braucht mich.” Sie nahm einen Schluck von dem heißen Kaffee. “Und ich brauche ihn.” Vielleicht ist das viel mehr der Grund, dachte sie, ich brauche ihn so sehr. Dazu kam das Gefühl, endlich etwas für ihn tun zu können. Ich will mich unentbehrlich machen, er soll nicht ohne mich leben können.
“Er hält Hof, da im Krankenhaus. Wie ein Pascha läßt er sich von dir bedienen. Du springst, wenn er nur mit dem kleinen Finger zuckt. Hast du denn nie das Gefühl, daß du deine eigenen Grenzen überschreitest?” Jean schüttelte den Kopf. “Ich habe bei dir, Gaby, oft das Gefühl, daß du alleine nicht mehr existierst. Du wirst von ihm aufgesogen, ausgesogen.”
Sie begreift nichts, dachte Gaby. Aber wie soll sie es auch begreifen? Ohne ihn bin ich nichts. Ich kann ohne ihn nicht leben. Und wenn er mich aufsaugt, dann sind wir eins. Unwiderruflich verbunden miteinander.
Wochenende. Früher, dachte Gaby und wußte eigentlich nicht genau, welche Zeit war früher. Die ersten drei Monate ihrer Ehe? Oder auch noch danach, als sie Daniel erwartete? Oder die Zeit, in der sie vergeblich versuchte, ein Kind auszutragen, oder die Monate, in denen sie Alex trug? Früher waren die Sonntage etwas Gemeinsames, etwas, das Hubert und ihr gehörte. Jetzt saß er oft stundenlang in seinem Arbeitszimmer, sah unwillig auf, wenn sie ihn zum Kaffee nach unten rief. Nur einen Moment, dann war da wieder das freundliche, unverbindliche Lächeln. “Natürlich, Gaby, ich komme sofort.” Es war in diesen Monaten, nach seinem ersten Krankenhausaufenthalt, daß sie sich zum ersten Mal mit Händen und Füßen gegen etwas wehrte, was sie im nachhinein von sich selbst nicht mehr begreifen konnte.
“Ich will nicht”, sagte sie und spannte von ihrem großen Zeh bis hinauf zu ihren Haarwurzeln alle Nerven und Muskeln an, “ich will nicht, daß deine Kinder sonntags kommen. Alle vierzehn Tage sonnabends, prima, meinetwegen auch freitags, aber sonntags nicht. Ich will”, sie wunderte sich im stillen, wie deutlich sie “ich will” sagte, “ich will einen Tag nur für uns haben.” Und dann, beinahe flehentlich, etwas leiser: “Begreifst du das denn nicht?”
Nein, Hubert begriff es nicht. “Du bist lächerlich”, sagte er kühl, und es klang wie von der Spitze eines Eisberges herab. “Was macht es aus, ob sie sonnabends oder sonntags kommen? Ein Tag ist doch so gut, wie der andere!”
Doch Gaby beharrte starrköpfig und uneinsichtig auf ihrer Meinung. “Wenn du sie am Sonntag zu Besuch
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