Zuckerpüppchen - Was danach geschah
bereit, ihm seine Sonderwünsche zu erfüllen. Dankbar nahm Gaby die Rolle auf sich. Frische Butter, feine Leberpastetchen und zart geräucherter Schinken bereicherten Tag für Tag seinen Speiseplan. Es wurde so etwas wie ein Sport für sie, ihn abends, wenn sie ihn ohne die Kinder besuchte, mit stets anderen Leckereien zu überraschen. “Probier doch einmal diesen zarten Lachs”, oder: “Wie schmeckt dir der Bauernkäse? War bei van Maanen im Angebot.” Abends kamen auch andere Freunde und Kollegen, so daß Gaby oft ein wenig abseits saß. Aber sie war zufrieden. Sie gehörte zu ihm. Sie besuchte ihn zweimal täglich und tat für ihn, was sie konnte. Man fragte sie, wie sie das alles nur alleine schaffte, zweimal täglich ins Krankenhaus und die Kinder und der Haushalt. Aber Gaby fühlte sich besser als seit langem und lächelte nur. “Das ist doch selbstverständlich”, sagte sie. “Dafür ist man doch auch verheiratet. Daß man sich in schwierigen Zeiten auf den anderen verlassen kann.” Sie wollte ihm jeden Wunsch von den Augen ablesen. Hubert sollte sehen, daß sie bereit war, viel für ihn zu tun. Wenn er mittags klagte, daß er Appetit auf etwas Süßes hatte, brachte sie ihm abends sein Lieblingseis vom Italiener. Wenn er nach etwas Pikantem verlangte, waren vielleicht kleine Heringshäppchen das Richtige. Und immer hatte er Rosen von ihr. Dunkelrote, samtige Rosen. “Willst du Hubert nicht besuchen?” fragte sie Ursel. Die errötete und strich sich verlegen eine dünne Haarsträhne aus dem Gesicht. “Ich bin allergisch gegen Krankenhäuser”, erklärte die Freundin. “Und Besuchsstunden bringen mich zur Verzweiflung. Ich besuche ihn mal außerhalb der Besuchszeit.” Gaby fühlte einen leisen Stich. Sie war dann nicht dabei. Aber machte das etwas aus? Hubert würde sich bestimmt freuen, wenn Ursel so hereingeschneit kam. Und es ging doch um Hubert. “Ja, tu das”, sagte sie. “Hubert sagt sowieso, daß die Tage schrecklich lang sind.”
Jean ging wohl abends mit ihr ins Krankenhaus. Sie hatte ihm selbstgebackene Brötchen mitgebracht und erzählte leicht ironisch eine Episode von ihrer neuen Arbeit als Krankenschwester in einer Schule mit körperlich schwachen Kindern. “Nicht die Kinder sind das Problem”, schloß sie, “sondern die Eltern. Wie die mit der Krankheit ihrer Kinder umgehen... Das sieht man deutlich, wie überbesorgte Mütter ihren asthmatischen Kindern die Luft zum Atmen nehmen. Oder die anspruchsvollen Väter, die glauben, mit ‘Nicht-Anstellen’ und offenem Fenster sei das Problem schon halb im Griff. Wie viele Eltern ihre Kinder krank machen! Warum werden Eltern nicht auf ihre Tauglichkeit, ihre Verantwortlichkeit hin geprüft, bevor sie Kinder bekommen dürfen?” Täuschte Gaby sich oder warf sie Hubert bei ihren letzten Worten einen schnellen Blick zu? “Ja, unvorstellbar”, bestätigte er ruhig ihre Anklage, “wie manche Eltern sich aufführen.”
Gaby erinnerte sich, daß sie, als sie Hubert das allererste Mal gesehen und er sie mit diesem leicht herausfordernden Siegerlächeln gewonnen hatte, dachte, daß er älter sei. Anfang vierzig, hatte sie geschätzt. Die leicht grauen Schläfen, die weltmännische Haltung, das wirkte so überwältigend erwachsen auf sie. “Ist es schlimm”, hatte er sie später geneckt, “daß ich erst vierunddreißig bin?” Gaby hatte natürlich energisch verneint. Mit einem jüngeren Hubert hatte sie die Möglichkeit, länger zusammenzuleben. Und doch. In ihrer Vorstellung war ein etwas älterer Mann abgeklärter, ruhiger, über alle Jugendsünden hinausgewachsen. Aber Hubert war jung und doch so vertrauenswürdig. Jemand, dem man sich in die Arme werfen konnte und der einem nicht weh tat. Der ehrlich und behutsam mit einem umging. Wie ein Vater. So ein Vater, wie sie ihn nur die ersten sechs Jahre gehabt hatte. Ein Vater, der einen nie fallen ließ. Der einen liebte und einem nicht wehtat. So war Hubert. “Ich begreife nicht, wie ein Mann die Hand gegen seine Frau erheben kann”, hatte er gesagt, als sie ihm von Robbie erzählte. “Ich werde dir nie ein Haar krümmen.”
Weiterer Besuch kam. Ein Mädchen brachte ein Blumenarrangement. “Mit den besten Wünschen von den Frauen aus der Telefonzentrale.” Hubert lächelte geschmeichelt. “Man hat mich noch nicht vergessen.” — “Wie könnte man auch?” In Jeans Augen blitzte ein wenig Spott auf.
“Ich glaube, wir gehen jetzt”, sagte Gaby und beugte sich über
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