Zuckerpüppchen - Was danach geschah
verkehrt begreifen könne. Es war doch ein Vertrauensbeweis, daß er im Bett so offen mit ihr über seine Wünsche sprach? Daß er ehrlich zugab, daß er für seine Treue nicht mehr garantieren könne, wenn sie nicht zusammen mit ihm zu einem Sexklub gehen würde. Ja, das wollte er. Bei den Anzeigen wußte man doch nicht genau, wer dahinter steckte. Aber in einem Sexklub, da konnte man sich Partner à la carte bestellen. Er konnte seinen Hunger nach anderen Frauen auf diese Art und Weise befriedigen, und sie, ach sie würde es wahrscheinlich auch toll finden, sagte Hubert. Auf jeden Fall fand er es eine aufregende Idee, daß sie mit jemand anders schlafen würde. Daß sie das nicht begriff, das lag natürlich an ihrer kleinbürgerlichen Einstellung. Wenn man sich wirklich liebte, sagte Hubert, ging es um die geistige Basis. Und die war doch bei ihnen stabil und ausgewogen, sagte Hubert. Der körperliche Akt, das war nur ein Teil der Liebe. So wie mit ihr, würde es natürlich mit anderen Frauen nie sein, sagte Hubert, denn sie liebe er ja, aber aufregend und toll, das würde es schon sein. Sagte Hubert.
“Es wird der größte Empfang des Jahres”, sagte Hubert, “der große Boß läßt bitten.” Gaby reichte ihm das Fleisch. “Ich habe dir Rouladen gemacht. Mit einer Karotte darin, wie du es von deiner Mutter gewöhnt bist.” Hubert schnitt sich ein kleines Stück von der Fleischroulade ab. Er nahm grundsätzlich nur kleine Bissen. Er kaute langsam. Gaby sah ihn abwartend an. “Ja, schmeckt ausgezeichnet.” Er prüfte noch einmal. “Hast du das Fleisch auch vor dem Braten mit Senf eingerieben?” — “Ja, habe ich. Warum, ist sie doch nicht gut?” — “Nein, wirklich, ganz gut. Ja, wirklich.” Er lächelte ihr beruhigend zu. “Du kannst dir ein neues Kleid kaufen, für den Empfang, meine ich. Und ein Friseurbesuch ist auch drin. Setze ich ab über Werbungskosten.” Gaby sah auf ihre Roulade. Sie haßte es, Rouladen zu machen. Das rohe Fleisch in die Hand nehmen zu müssen, bestreichen, die Karotte, Zwiebel und Speckstückchen fest darin einrollen, den Bindfaden darum herumbinden, sie schüttelte sich. Ihre Hände waren hinterher beschmiert mit Blut und Senf. Aber das Ergebnis war wohlschmeckend. Und es kam doch nur auf das Ergebnis an. Sie würde sich hübsch machen. Ein neues Kleid, ein Friseurbesuch.
Bei dem letzten Geschäftsessen hatte die Frau von Huberts Chef ihr ein Kompliment gemacht. “Reizend, wie Sie aussehen. Wirklich, ganz reizend.” Und dann hatte sie sie etwas gefragt. Eine Frage, die Gaby ihr auch nicht hatte beantworten können. “Was tun Sie, liebe Gaby, wenn Sie eines Tages weniger attraktiv aussehen?” Am Tisch herrschte eine betretene Stille. Alle sahen zu Gaby. Sie war blutrot geworden. Sie fühlte die Herausforderung. Man dachte, sie sei nichts anderes als hübsch. Das reizende Anhängsel von Hubert. Sollte sie sagen, daß sie Angst davor hatte? Nicht wegen sich selbst, aber wegen Hubert? Sie durfte ja nicht einmal ihre Haare kürzer schneiden lassen. Würde er auch eine alternde Gaby lieben? “Ich hoffe”, sagte Gaby in die Stille hinein und war froh, daß ihre Stimme nichts von ihren Gedanken verriet, “daß bis dahin jeder erkannt hat, daß eine Frau mehr ist, als nur ein dekoratives Aushängeschild.” Frau Barsch aus Ecuador hatte geklatscht. “Ausgezeichnet gesagt, liebe Gaby, wirklich, ausgezeichnet. In gewissen Kreisen denkt man auch heute noch, daß ein Mann mit den Jahren reifer wird, eine Frau dagegen wird nur älter.” Das Gespräch hatte wieder eine allgemeine Wendung genommen.
“Ja, ich muß unbedingt mal wieder zum Friseur.” Sie strich ihre Haare aus dem Gesicht. “Ein paar Zentimeter müssen wirklich daran glauben.” — “Geh nur.” Hubert lächelte ihr abwesend zu. Er war mit seinen Gedanken weit weg. Wo war er? Wenn sie ihn fragte, erzählte er etwas von der Firma, von seinem letzten Besuchsbericht oder was Kollege X zu Kollege Y gesagt hatte. Waren Männer so anders? Dachten Männer nie über Gefühle nach? Hatten Männer keine Ängste?
Im letzten Jahr waren ihre Ängste immer größer geworden. Sie funktionierte in Streßsituationen nur noch mit Tabletten, zusammen mit einer gewissen Dosis Alkohol. Streß bedeutete alles, was sie außerhalb ihrer eigenen vier Wände tun mußte. Jeder Einkauf wurde zum Spießrutenlaufen, jede Besorgung eine Angstpartie. Aber am schlimmsten waren Empfänge. Geschäftsessen waren weniger gefährlich, weil
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